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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 10.1899

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Zimmermann, M. G.: Jacob Burckhardt's "Erinnerungen aus Rubens"
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https://doi.org/10.11588/diglit.5773#0139

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2Ö1

grossen flandrischen Maler, zu dem der Verfasser mit
fast scheuer Ehrfurcht emporblickt, kaum wagt er hier
und da eine ganz leise Einschränkung zu machen. Ist
denn Rubens, so fragen wir uns, nicht der be-
zeichnendste, ja geradezu der eigentliche Vertreter des
Barock in der Malerei, als welchen ihn Schmarsow in
seinem kürzlich erschienenen Buche „Barock und
Rokoko" charakterisiert hat? Und ist es denn nicht
derselbe Burckhardt, welcher sich im Cicerone über
den Barock so oft entrüstet? Burckhardt scheint also
nicht wie Qeibel stets derselbe geblieben zu sein.
Rubens und das Barockzeitalter gehören unentrinnbar
fest zusammen. Mag sich der Künstler mit seiner
Persönlichkeit auch zu allgemeingültiger klassischer
Grösse erheben, seine Werke sind und bleiben be-
dingt durch die Zeit, in welcher er lebte. Davon
aber merken wir in Burckhardt's Buch nur wenig,
Rubens erscheint vielmehr als ein zeitloser Genius,
welcher allein durch sich selbst bedingt wurde, der
von Vor- und Mitwelt nur insofern beeinflusst wird,
als es seinem souveränen persönlichen Willen beliebte.
Mit dem bekannten bewunderungswürdigen Feingefühl
hat Burckhardt das Wesen des Künstlers analysiert
und auch diejenigen Elemente seiner Kunst behandelt
und herausgehoben, welche ihn zum Hauptvertreter
des Barock in der Malerei machen, aber ohne auch
nur mit einem Wort dieser Perspektive zu gedenken.
So konnte es nicht ausbleiben, dass der Verfasser
nicht nur im allgemeinen, sondern auch im einzelnen
in seltsamen Widerspruch mit seinem Cicerone gerät
und hier anerkennt und bewundert, was er dort ver-
dammt.

Aber es scheint doch nur so, als ob Burckhardt
seinen Standpunkt gegenüber dem Barock seit der
Veröffentlichung seiner früheren Werke verändert habe.
Während es der Zug unserer Zeit ist, dem Barock eine
gerechtere Würdigung zu teil werden zu lassen, diese
Periode nicht mehr vom Standpunkt der Renaissance
aus, sondern aus sich selbst zu beurteilen, findet sich
in Burckhardt's Buch keine Andeutung darüber, dass
er desselben Sinnes wäre, dass er wünschte, seine Lobes-
erhebungen von Rubens auf die ganze Zeit zu gene-
ralisieren. Eine so festgefügte Persönlichkeit wie
Burckhardt verändert sich nicht in solchem Grade, er
ist derselbe geblieben, der er immer war; aber er hat
sich in Rubens verliebt, und da will er nicht sehen,
was jenen zeitlich bedingt, denn das würde ihm den
Künstler verkleinern. Bei einem weniger bedeutenden
und weniger verehrten Manne würde man sich mit
der Erkenntnis beruhigen, dass er ausnahmsweise ein-
mal nicht konsequent gewesen ist; bei Burckhardt
jedoch drängt es uns um so mehr, danach zu
forschen, welches die Gründe dieser merkwürdigen
Sympathie für Rubens sind, je grösser unsere Ver-
ehrung für diesen Altmeister unserer Wissenschaft ist.

262

Suchen wir uns darüber klar zu werden. Die höchsten
Menschheitsideale Burckhardt's waren die Griechen
und die Italiener der Renaissancezeit. An ihnen be-
wundert er ihre körperliche und geistige Gesundheit,
und diese fand er auch in Rubens. So hoch schätzte
er sie, dass er dem Künstler darüber den Zug ins
Derbe, ja zuweilen ins Brutale, nachsieht. Ferner
verehrte er an den Griechen und Italienern den ratio-
nalistischen Zug ihres Wesens, dass sie bei aller hohen
Idealität doch ihre Thätigkeit immer auf das Erreich-
bare richteten; in demselben Sinne war auch Rubens
durchaus ein Mann von dieser Welt, der mit ihr und
ihren Möglichkeiten rechnete, der niemals den festen
Boden unter seinen Füssen losliess, während das
Mittelalter sich mit seinem unweltlichen Idealismus in
die Wolken verlor, und damit Burckhardt weniger
sympathisch war. Dann zog ihn die Vielseitigkeit des
Künstlers an, in welcher er mit den grossen Italienern
wetteiferte; besonders seine Neigung für Politik hebt
er mit Wohlgefallen hervor, waren doch auch die
Italiener der Renaissancezeit Meister in der Politik, so
dass Burckhardt den ersten Abschnitt seiner „Kultur
der Renaissance" mit dem Titel „Der Staat als Kunst-
werk« versehen konnte. Nicht minder behagt ihm an
Rubens sein aristokratisches Wesen, das er wieder mit
den Italienern teilt. Er übersah bei all diesem,
dass Rubens doch die ruhige und selbstverständliche
Grösse der Griechen und der Renaissancemenschen,
und hier nicht nur der Italiener, sondern auch der
Deutschen, nicht erreicht, dass er doch nicht ganz im
Sinne jener erhobenes Menschentum darstellt. Die
eigentliche Grösse Rubens liegt in seinem unwider-
stehlichen Temperament, und damit erscheint er den
Griechen und den grossen Geistern der Renaissance,
nicht zum wenigsten einem Dürer gegenüber, zuweilen
sogar forciert. Nicht zuletzt war es wohl für Burck-
hardt's Vorliebe entscheidend, dass in Rubens germa-
nisches und romanisches Wesen vereinigt waren, wie
Burckhardt selber sich mit italienischem Wesen durch-
tränkt hatte.

Niemand würde Burckhardt's begeisterte Äusse-
rungen über Rubens als Zeugnis seines persönlichen
Wohlgefallens angreifen, wenn er zunächst den Zu-
sammenhang des Künstlers mit seiner Zeit und die
damit gegebenen Schranken klargelegt hätte. Ja, sein
Held wäre dadurch noch mehr gehoben worden; denn
um wieviel mehr müssen wir ihn bewundern, da er
der eigentliche Vertreter des Barock ist und sich doch
weit über dieses Zeitalter zu allgemeingültiger Grösse
erhoben hat' Es kam dem Künstler zu statten, dass
er die italienische Kunst nur als Fremder kennen
lernte, wäre er als Italiener geboren und aufgewachsen,
so wäre er ein Eklektiker oder ein schroffer Natura-
list geworden wie seine italienischen Zeitgenossen.
Diese waren Epigonen, auf ihnen lastete die Tradition,

Jacob Burckhardt's „Erinnerungen aus Rubens".
 
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