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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 11.1900

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Über zwei Gemälde im Stadtschloß bezw. auf der Veste Coburg
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sichtbar. Der barfüssige Nachbar in blaugrünem Rock
und rotgelbem Mantel dürfte also Judas Thaddäus ge-
wesen sein, der namentlich in jener Zeit und Gegend
der stete Genosse des Simon ist; so sind auch die
beiden auf dem bei Cranach 1511 bestellten Altar-
werk der Kirche zu Neustadt an der Orla zusammen
sowohl geschnitzt als gemalt dargestellt.1) Die Malerei
hier ist zu sehr vergangen, als dass sich Schlüsse auf
Malweise und Maler machen Hessen. Jedenfalls sehen
wir, dass wir es wenigstens auf dieser Seite mit den
Flügeln eines Altars zu thun haben. Auf den ersten
Anschein möchte man den Gedanken fassen, dass
das Altarbild vor der Bemalung der anderen Seiten
mit den Kurfürsten zerschnitten worden sei. Es sind
nämlich einige Spalten in den Hölzern mit Hülfe
von schwalbenschwanzförmigen Keilen festgehalten,
welche aus dem gleichen Holz, wie aus dem der
Tafeln hergestellt sind, geschnitten sind; die Bildnisse
erscheinen ferner merkwürdig frisch gegen die Malerei
der Rückseiten und scheinen oben in sich abgeschlossen.
Allein es ist nicht anzunehmen, dass in jener Zeit
(auch im Falle späterer Datierung der Bildnisse doch
vor dem vollständigen Eindringen der Reformation
in Cranach's Werkstatt) diese bilderstiirmerische That
geschehen sei, und am wenigsten ist sie Cranach zu-
zutrauen. Wir werden also nicht fehl in der Annahme
gehen, dass jene Ausspanung und Übermalung der
verbindenden Hölzer erst viel später geschah, in einer
Zeit, wo mit den Heiligen in Thüringen systematisch
kurzer Prozess gemacht wurde, dass also auch über den
Bildnissen noch Malerei sich befand. Da liegt denn j
der Gedanke nahe, dass oberhalb der Fürsten Schutz-
heilige derselben gernalt waren, wie auf den in der
Stellung der Brüder ähnlichen Bildern der Vermählung
Katharinen^ im Gotischen Haus in Wörlitz ') und auf
dem Bilde der Maria in Glorie mit dem anbetenden
Friedrich dem Weisen bei Herrn Hofrat Schäfer in
Darmstadt3) oder den Altarflügeln der Katharinen-
kirche zu Zwickau.4) Allerdings ist eine Schwierig-
keit anderer Art dabei. Die auf jenen Bildern ge-
malten und auch durch Stiche und Nachrichten fest-
gestellten Schutzheiligen waren Bartholomäus für den
Kurfürsten Friedrich, Jacobus der Ältere für Johann
den Beständigen. Nun kommt aber der letztere
Heilige auf der Rückseite des Altarflügels vor. Wir
müssen also dem Johann hier einen andern Schutz-
heiligen geben oder annehmen, dass Jacobus der
Ältere zweimal vorkommt. Dass Jacobus der Ältere
jener Mann mit dem Stab ist, ist sicher. Es hängen
nämlich im Stadtschloss, der Ehrenburg zu Coburg
in der sogenannten Kleinen Bildergalerie des ersten
Obergeschosses zwei Holztafeln, jede 49 cm breit,
40 cm. hoch mit je zwei fast lebensgrossen Köpfen

1) S. Lehfeldt, Bau- und Kunstdenkmäler Thüringens
Bd. Neustadt, S. 77t.

2) Dresdner Cranach-Ausstellung, Verzeichnis No. 127
mit Litt, und Abbild. Befremdlich ist, dass Johann auf dein,
wie man annimmt, 1510 gemalten Bilde schon den Bart-
schnitt der späteren Zeit trägt.

3) Dresdner Cran.-Ausst., Verzeichnis No. 128.

4) Dasselbe No. 100.

von Heiligen, und, wie man sogleich sieht, heraus-
geschnitten aus je einem grösseren Bilde. Diese
Bilder sind wohl infolge ihres Aufbewahrungsortes
nicht sehr bekannt; und auf ihre Zugehörigkeit zu
den Bildern auf der Veste ist noch nicht hingewiesen.
Sie haben nicht nur die gleiche Breite, sondern
passen auch inhaltlich zusammen. Die Köpfe der
Heiligen im Stadtschloss haben den Vorzug, viel
besser erhalten zu sein, als ihre Beine auf der Veste.
Auf der einen Tafel sind es Jacobus der Ältere mit
braunem Bart, sicher durch den Muschelhut und den
Anfang seines Wanderstabes gekennzeichnet, und der
weissbärtige Andreas, mit dem Anfang seines Kreuzes
gemalt, welche beide zusammen in einem Buche
lesen. Auf der anderen Tafel sind es den Gesichtern
nach (man vergleiche u. a. das Neustädter Bild)
Simon mit noch braunen Locken und braunem Bart,
Judas Thaddäus mit blauer Kappe, wie gewöhnlich
als weissbärtiger Greis, aber mit jugendlich feurigen
Augen, beide in einem Buche lesend, welches Judas
hält. (Ich bemerke, dass ich auf die Bezeichnungen
der Heiligen kam, ehe ich das Bild auf der Veste
kennen gelernt hatte.) Die Malerei ist sehr bedeutend.
Die Köpfe sind edel und ausdrucksvoll, besonders
die der Greise voller Charakter. Die Hände sind
unanatomisch und unschön gemalt, mit auffallend
kurzen Nägeln. Die Gewandung ist kräftig, die
Farben saftig. Manches erinnert an Cranach, so das
Vortreten der Unterlippe. Anderes aber widerspricht
der Malweise des Wittenberger Meisters. Die Auf-
fassung ist weniger fein, geistvoll, dafür kraftvoller,
die Pinselführung ist eine breite, nur die Haare fein
gestrichelt, die Wangen sind mit derberen Strichen
modelliert. Vieles verrät die fränkische Art, manches,
wie der Augenausdruck und die Haltung, auch Dürer-
sche Einflüsse. Dr. Kötschau, mit dem ich die
Bilder genau betrachtete, fand starke Ähnlichkeiten
mit den Bildern des Hans von Kulmbach1), wobei
ich gern zustimmte, ohne gerade dessen Hand selbst
fest annehmen zu können. Ich bemerke hierbei, dass
Waagen auch jenes Zwickauer Altarwerk nicht für
Cranachs Werk, sondern für das eines Nürnberger
Meisters, vielleicht Hans von Kulmbachs erklärte (wo-
für er freilich einen Wischer in dem Dresdner Aus-
stellungsverzeichnis erhielt). Jedenfalls können wir
also auch hier eine Arbeitsteilung annehmen, so dass
Cranach die Fürstenbildnisse malte, ein anderer in
gewissem Sinne selbständiger Künstler aber, vielleicht
in Cranachs Werkstatt beschäftigt, die Heiligen. (Von
demselben dürften u. a. die charaktervollen Apostel-
bilder auf dem Altarwerk in Dienstädt im Westkreis
Altenburg sein). - Auf andere Schlüsse und Mut-
massungen ist hier nicht einzugehen. Wir sehen aber
hier wiederum, wie die Vergleichung dazu hilft,
frühere Vernachlässigungen aufzudecken, lange Ge-
trenntes zusammenzufügen und wenigstens im Geiste
ein schönes, grosses Kunstwerk wieder als Ganzes
erstehen zu lassen.

1) Wenn er Anteil an den Bildern hat, müssten sie
sicher vor 1514, seiner Übersiedelung nach Krakau, voll-
endet sein.
 
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