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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 11.1900

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Valentin, Veit: Eduard von Steinle's Briefwechsel mit seinen Freunden, [1]: ein Beitrag zur Charakteristik Steinle's
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https://doi.org/10.11588/diglit.5771#0098

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179

Eduard von Steinle's Briefwechsel mit seinen Freunden.

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ausschliessen müssen. Dies aber ist ein ganz ausser-
ordentliches, nicht nur nach der Seite des Bienen-
fleisses hin, den der Herausgeber mit vollstem Recht
an dem Vater rühmt, sondern besonders auch in der
ungewöhnlichen Erfindungs- und Gestaltungskraft, in
der, je nach der Art des einzelnen Werkes, anmuts-
voll schönen oder hoheitsvoll charakteristischen Form-
gebung, in der geistvollen Bewältigung der mancherlei
ihm entgegentretenden schwierigen Aufgaben.

Und doch lässt sich der Gegensatz des demutsvoll
malenden Beters und betenden Malers mit dem, hu-
manen Sinnes zur Weltfröhlichkeit greifenden und des
alimählich trocken werdenden Tones müden Schöpfer
heiteren und ernsten Menschengeschickes auch hier
nicht ganz unterdrücken. Er, der zum Verkünder
solchen Meiischengeschickes in einer diesem kongeni-
alen Sprache wie wenig andere geschaffen war, fühlt
sich von frühester Jugend zum Dienste der Kirche
hingezogen. Aber schon der einsichtige Vater, der
die wahre künstlerische Natur des Sohnes sehr früh
erkannt hat, lässt die warnende Stimme laut werden:
»Fahre so fort in deinem Studium, dass ich bald
etwas Gemaltes sehe, und sei nur fleissig; gehe lieber
weniger in die Kirche; denn der Fleiss der Arbeit ist
auch Gebet« (I, 179). Er weist den Sohn auf Be-
obachtung des wirklichen Lebens hin: »Schicke mir
auch einige Römer Volkstrachten, dass ich sehe, wie
die Leute aussehen, und zeichne nicht immer Heilige
und lasse doch einmal die geistlichen Bücher ruhen
und spiele fleissig Klavier« (I, 177). Bei erneuter
Warnung vor der zu starken geistlichen Lektüre ruft
er die Warnung vor dem Augenverderben zu Hilfe
(1, 196) wie vorher seinen Wunsch, die römischen
Trachten kennen zu lernen: solch liebevolle Vorwände
lassen das Hauptziel seiner Warnung nicht verkennen.
Sie prallt wirkungslos ab: der Sohn will ein »tüchtiger
Maler zur Ehre Gottes« werden (I, 177) und weiss
sein Lesen geistlicher Bücher ausser durch das Gebot
der Kirche auch noch durch den weltklugeu Hinweis
auf den Nutzen für seine Arbeit zu verteidigen und
schliesst: Widerstehe den Bitten Deines Dich wahr-
haft liebenden Sohnes nimmer. Mein lieber,
lieber Vater!' (I, 197/8). Und so geht er seines
Weges weiter. Aber der Humor lässt sich so wenig
unterdrücken wie die natürliche Freude des Künstlers
an der Wirklichkeitserscheinung, die nicht weniger
Erscheinung der wirklichen Welt ist, wenn sie sich
auch in das Gewand des Märchens und der Gestalten
der Dichtung hüllt. Diese Freude bricht hervor, aber
das Ergebnis solcher Schöpfungen macht dem Künstler
ernste Skrupel. Schon als Steinle die ebenso reizvolle
wie unschuldsvolle »Märchenerzählerin« geschaffen
und hatte erscheinen lassen, heisst es: »Ich kann nicht
leugnen, dass mir das Erscheinen der »Märchen-
erzählerin- einige Skrupel macht, indem sich gerade
jetzt die ernste Kunst am wenigsten mit derlei ab-
geben sollte, und die wenigen Künstler, die den ohne-
hin schwachen Faden kirchlicher Kunst bis jetzt er-
halten, sollten sich am meisten davor hüten. Doch
nun ist der Vogel aus dem Käfig und die Reue zu
spät, und das Blatt muss denn als harmlos, was es

am Ende auch ist, passieren« (I, 434). Das war 1844:
als er 1854 das Guaitazimmer mit den köstlichen
Werken zu Clemens Brentano's Märchen geschaffen und
der Trappistenabt es verurteilt hatte, schreibt er, der
inzwischen etwas kühner geworden ist: »Ich fürchte
nicht, deshalb mit Clemens im Fegefeuer brennen zu

j müssen, wie der gute Abt van der Meulen es gesagt

j hat. Der liebe Gott hat gewiss die Trappisten gerne,
aber Er Selber ist keiner und verdammt auch nicht
harmlosen Scherz« (II, 214). Und 1868 beabsichtigte
er sogar eine »sogenannte Shakespeare-Galerie« zu ver-
öffentlichen: »ich habe mir des Gegensatzes wegen,
und weil ich sehr ernste Dinge vorhabe, die Lustspiele
zur Behandlung ausgewählt, und es wird das dem
ultramontanen Heiligenmaler hoffentlich sehr übel ge-
nommen werden. Ich möchte mir durch eine reinere,
individuellere Auffassung, die mit einer gewissen Frei-
heit zu Werke geht, selbst ein Vergnügen machen«
("> 399)- Und als das Unternehmen scheiterte, sagt
er: »Vielleicht mache ich für mich, was mich noch
prickelt« (II, 329). So bricht in diesen Schöpfungen
die ästhetische Freude des Künstlers durch, die Über-
zeugung, dass auch das Individuum sein Recht hat
und der Künstler nicht beständig im Kampfe der per-

j sönlichen Auffassung, ohne die er nicht Künstler sein
kann, mit der nivellierenden, gerade das Individuelle als
Hochmut verfolgenden mittelalterlichen Anschauung,-
ohne die die katholische Kirche nicht existieren kann,
sich verzehren muss. Da ist es kein Wunder, dass

I die, welche der Kunst in erster Linie das Recht des
ästhetischen Zieles zuerkennen, gerade diese Werke
freudig begrüssten: das kann aber die Skrupel des
Künstlers natürlich nicht beseitigen. So sagt er kurze

I Zeit nachher: »Man fühlt es ausserordentlich angenehm
hier, dass ich mich mit solchen Gegenständen be-
schäftige; von den Seiten aber, die es billigen, dass
ich nur Heilige male, wird es sicher übel genommen
werden- (II, 329).

Aber die Skrupel werden zum Ärgernis, wenn
die Natur in den Himmel einzudringen sich erlaubt.
Overbeck hatte auf einer Zeichnung, die Gott Vater
darstellt, wie er dem Propheten Elias nicht im Sturm-
wind, nicht in Feuerflammen, sondern im Säuseln
des Windes erscheint, zwei Knaben, Engelchen,
die Gott Vater stützen, unbekleidet gelassen. Die
Besitzerin der Zeichnung, Fräulein Linder, selbst
Malerin und Wohlthäterin der Künstler der römischen
Kirche, zu der die Protestantin übergetreten war, hätte
diese Zeichnung gern einem jungen schweizerischen
Kupferstecher zur Verfügung gestellt, zumal diese
Arbeit ihm sehr förderlich geworden wäre. Overbeck
verweigert es und sagt: »So oft ich an diese Zeichnung
denke, wandelt mich eine Unruhe an, die ich nicht
zu beschwichtigen vermag, denn es ist etwas Entsetz-
liches um das Ärgernis«!! Da kann sich denn die

; treffliche Frau, die als Frau schon eher ein freilich

! gerade in solchem Falle recht trauriges Recht auf
Prüderie hätte geltend machen können, nicht enthalten,
in die Worte auszubrechen: »Wie eine solche Zeich-
nung Ärgernis geben soll, verstehe ich durchaus nicht!
Ich weiss bald nicht, wie verworfen ein Mensch sein
 
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