Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 11.1900

DOI Artikel:
Tafel, Hermann: Die Malerei von heute: ein Überblick
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5771#0235

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
453

Die Malerei von heute.

454

Schlimmes, nämlich eine Mode, und man begann
halb ironisch, halb ernsthaft von Modefarben zu
sprechen.

Daran ist nun nicht zu zweifeln, gewisse Farben-
töne kamen in und ausser Mode und wer eine Psy-
chologie der Farbe schreiben wollte, dem wäre eine
köstliche Aufgabe zu stellen, freilich nur lösbar für
Augen, die perspektivisch zu sehen vermögen. Er
stelle eine Farbentabelle her, die in einzelne Ab-
schnitte, vielleicht Jahre, eingeteilt, die jeweiligen in
den betreffenden Zeiten besonders beliebten Farben
durch harmonische Übergänge verschmolzen zur Dar-
stellung bringt.

_* *
*

Man wird uns einwenden, dass nirgendwo fleissiger
nach der Natur studiert wird, als gerade in München.
Gewiss niemand weiss das besser als wir, es wird
riesig gearbeitet in München; wo in aller Welt jedoch
ist es schwerer für den Begabten, auf sich selber zu
kommen, sein Eigenstes, Innerstes zu finden, ja oft
nur zu bewahren als in dieser Stadt, in der wir unter
den mächtigen Einflüssen der Franzosen, Niederländer,
Schotten u. s. w. manchen Maler ein künstlerisches
Dasein führen sahen, wie eine von Magnetnadeln um-
stellte Eisenfeder.

Auch heute noch bemerken wir bei gar manchem
guten Bekannten in den Ausstellungen, dass er das
fremdfarbige Wechselfieber noch nicht verwunden;
wir sehen die deutsche Landschaft dargestellt in
holländischen und schottischen Farben und — Formen,
wir sahen vor einigen Jahren ein Porträt, das wir
auf den ersten flüchtigen Blick für die Arbeit eines
Schotten, etwa eines Guthrieschülers hielten, es war
jedoch die Arbeit eines Münchners, der das Jahr zu-
vor eines jener grossen nüchternen, kalkigen Interieurs-
bilder gebracht hatte, wie sie s. Z. bei Franzosen be-
sonders beliebt waren.

Wer aber, der irgend eine Position in Münchens
Künstlerschaft errungen, trennte sich gern von dieser
Stadt, von den gewonnenen Vorteilen und Beziehungen.

Und doch bestände darin ein Heilmittel für so
Manche. Freilich nicht für die Vielen, für die Kleinen,
sie bleiben am besten da, wo das steigende Niveau
des künstlerischen Meeresspiegels auch sie miterhöht.
Aber die Besseren, Versprechenden mögen sich fest-
setzen, irgendwo, am besten in der Heimat, sich ein-
leben, verweben mit Land und Leuten und daraus
jene Bilder schaffen, die den geheimnisvollen Duft
ihres Entstehungsortes an sich tragen, wie gewisse
Weine den ihrer Lage. Ähnliches mag den neuen
Männern von »Worpswede« vorgeschwebt haben, als
sie sich in die Einsamkeit zurückzogen, und vielleicht
hätten sie ihr Ziel auch erreicht, wenn sie nicht die
Farbenschachtel Meister Arnold's in ihre Einsamkeit
mitgenommen hätten.

Als vor ungefähr zehn Jahren Hans Thoma seine
grosse Ausstellung in München veranstaltete, hat den
dortigen Künstlern am meisten wohl das imponiert,
dass hier Einer vor ihnen stand, der sich um sie
aber auch gar nicht kümmerte. Eigentlich war es
nur der Landschaftsmaler Thoma, der so tiefen Ein-

druck machte, dessen Landschaften, wir erinnern hier
an seine »Taunuslandschaft« und an jene andere im
Besitz der Pinakothek, als Dokumente für das anzu-
sehen sind, was wir »Charakter in der Kunst« nennen.
Die Münchner fühlten instinktiv, wie viel an innerlich
Erlebtem, Verarbeiteten in diesen Bildern lag, wie viel
an Frieden und Besänftigung in wirren Gemütszu-
ständen diese Gegenden dem Meister schon gebracht
haben mögen und wie die daraus entstandene liebe-
volle Anhänglichkeit an diese Natur es war, die ihn
zu einer so warmen, so typisch einfachen Darstellung

j derselben befähigte, vergleichbar nur mit dem intimen
Porträt eines geliebten Wesens. Vor allem aber,
dass nur die Einsamkeit derartiges reifen lassen konnte,
und wie weltfern hinter diesem Manne das brausende
Gewirr einer stets werdenden modernen Technik lag,
in dem sie alle sich so fröhlich tummelten. Nun
verstehe man uns nicht falsch, nicht die Art Thoma's
ist es, die wir empfehlen, sondern nur seinen Mut
der Einsamkeit. Denn die Art Thoma's empfehlen,
bedeutete nichts mehr und nichts weniger als die
Verachtung der reichen koloristischen Errungenschaften
unserer heutigen Malerei, was einer Thorheit gleich-
käme; nein, zu wünschen wäre nur, dass mancher
mit seinen gewonnenen Schätzen an ungemünztem
Golde aus jener so grossstädtisch unruhig gewordenen
Stadt hinwegzöge, um sie zu verarbeiten. Auch sagen
wir es rund heraus: München mit seiner nächsten
Umgebung ist zu arm, zu trostlos, um als Ausdruck
für so viele zu reichen; jene Schwärmerei für Dachau
war, von Einzelnen abgesehen, nur Mode. Lasset

1 Bayern den Bayern!

Die Zeit wird kommen, sie ist vielleicht schon
da, wo wir bei dem ausserordentlich hohen Niveau
des durchschnittlichen malerischen Könnens unsere
j Forderungen an ein Bild höher stellen werden, als
nur darauf, dass es im Ton zusammengeht, dass es mit
) Geschick gemalt ist, denn malen können sie, die Jungen,
j die Erben der heute schon geschaffenen Tradition, nunmehr
\ fast alle — äusserlich genommen. Mag es Vertiefung der
) Farbenanschauung sein, was wir höher bewerten -
trotz aller koloristischen Fortschritte sieht man selten
ein Bild von imponirend grossem künstlerischen Ton
, — mögen die Formen, die heutzutage von den
Malern hauptsächlich in der — Plastik bethätigt
werden, wieder mehr zu ihrem Rechte kommen, —
jedenfalls wird es etwas sein, das nicht zum Ge-
meingut so Vieler geworden ist.

Vielleicht dasjenige, was niemals zum Gemeingut
Vieler werden kann, weil es zu den Dingen gehört,
die man niemals erlernen wird, nämlich lebendige
Auffassung, Darstellung wilder, selbst leidenschaftlicher
Bewegung, eine Art von Talent, das schlafen gegangen
i ist unter der Alleinherrschaft des Kolorits. Denn
selbst die Wenigen, die thatsächlich das Zeug dazu
j hatten, sind unter dem Farbenregen eingeschlafen wie
| Dornröschen; wir sehen sie heute als lyrische
; Stimmungsmaler, als Darsteller dessen, was man in
der resoluten deutschen Verlegerwelt trotz des Figuren-
bildes euphemistisch als »Stillleben« bezeichnet.
 
Annotationen