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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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Engelmann, R.: Benvenuto Cellini in Fontainebleau
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https://doi.org/10.11588/diglit.5810#0066

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iog

Benvenuto Cellini in Fontainebleau

110

Madame d'Etampes absichtlich den Jupiter in der
Galerie aufstellen lassen, wo die von Primaticcio be-
sorgten Abgüsse von Antiken standen, in der Hoff-
nung, dass die neue Statue neben den antiken einen
schlechten Eindruck machen würde), ist gänzlich unter-
drückt. Von dem künstlichen Mittel, welches darin
bestand, dass Benvenuto gezwungen wurde, sein Werk
im Dunkeln auszustellen, und von der Erfindung mit
der angezündeten Fackel bleibt gleichfalls nichts be-
stehen. Es ist zu klar, dass Alvarotti, bei der Sorg-
samkeit, mit der er alles Einzelne schildert, und bei
dem Lobe, das er dem Künstler zuerteilt, nicht ver-
fehlt haben würde, das zu erwähnen. Was die Fackel
anbetrifft, so bemerke ich ausserdem noch, dass seine
Erzählung die ausdrückliche Erklärung enthält, dass
der wunderbare Gebrauch, den Cellini davon gemacht
haben will, einfach, wie ich bemerkt habe, der ganz
gewöhnliche und unvermeidliche Gebrauch war. Und
in diesen Betrachtungen beruht der Hauptwert des Ar-
tikels. Benvenuto übergab selbst seinen Jupiter, und
zwar in Fontainebleau; Madame d'Etampes nahm
daraus Gelegenheit, ihn vor dem ganzen Hofe herab-
zuziehen; daraus ergab sich ein Zank, den der König
beendet, indem er beide schweigen heisst. Das ist
die ganze Wahrheit darüber.«

Ich denke aber, es ergiebt sich aus diesem Briefe
Alvarotti's noch etwas mehr, nämlich dass, bis auf
Kleinigkeiten, die im Laufe so vieler Jahre aus dem
Gedächtnis schwinden können, der ganze Bericht Ben-
venuto's als wahr erwiesen ist. L. Dimier legt be-
sonderen Wert darauf, dass der Jupiter an sich als
chandelicr bestellt war, dass also Benvenuto gar nicht
nötig hatte, aus der Verlegenheit, in die er durch
die Verzögerung der Ankunft des Königs bis zur
dunkeln Nacht versetzt wurde, durch eine Erfindung
des Augenblicks, indem er zwischen dem Blitzbündel
eine Kerze befestigte, sich herauszureissen; aber hier
hat er, wie mir scheint, die Worte des Benvenuto
einfach falsch verstanden. Ich werde mich hüten,
ihm daraus einen Vorwurf zu machen, denn ich habe,
und gewiss viele andere mit mir, die Stelle früher
auch so verstanden, wie sie L. Dimier noch jetzt ver-
standen wissen will, aber sicher mit Unrecht. Der
König hatte von vornherein die Statue als Lichthalter
bestellt (vgl. Goethe, Benvenuto Cellini, 4. Kapitel:
»Den andern Tag ging ich, dem König zu danken,
und er befahl mir, dass ich zwölf Modelle zu sil-
bernen Statuen machen sollte, um als zwölf Leuchter
um seinen Tisch zu dienen; er wollte sechs Götter
und sechs Göttinnen vorgestellt haben, gerade so
gross wie er selbst, und er war beinahe drei Ellen
hoch«), und danach kann Benvenuto auch gar nicht
daran gedacht haben, Götterstatuen herzustellen, die
den gewünschten Zweck nicht erfüllen konnten. Man
muss also annehmen, dass der Jupiter, den er dem
Könige Franz in Fontainebleau vorführte, schon von
vornherein als Lichthalter gedacht war, und so ist es
auch in Wahrheit. Es heisst bei Goethe im g. Ka-
pitel: »Jupiter hatte in seiner rechten Hand den Blitz,
in der Stellung, als ob er ihn schleudern wollte, in
die linke hatte ich ihm die Welt (die Weltkugel) ge-

geben und hatte zwischen die Flamme des Blitzes
mit vieler Geschicklichkeit ein Stück weisser Kerze
angebracht').« Ebenso wie die Weltkugel in der linken
Hand war auch die Kerze in der rechten nicht das
Werk eines plötzlichen, erst in der Galerie von Fon-
tainebleau ihm gekommenen Einfalls, sondern gleich
ein Teil der von vornherein geplanten Komposition,
mit anderen Worten, er hatte die Statue so kompo-
niert, dass die Leuchtkraft vom Blitz ausgehen sollte.
Das Einzige, was Benvenuto, durch die Umstände
gedrängt, that, war, dass er die Kerze anzündete, die
Jupiter in der Hand hielt, dass er also sozusagen
nicht eine Statue, sondern einen Lichthalter dem
Könige vorstellte. Dadurch scheint mir auch dieser
Punkt völlig aufgeklärt, und, wenn man weitere Fol-
gerungen aus dem Briefe ziehen soll, können es doch
nur die sein, dass Benvenuto, nachdem ihm im all-
gemeinen durch die Worte Alvarotti's die Richtigkeit
der Thatsachen bezeugt ist, auch in den Punkten
Glauben zu finden verdient, die bei Alvarotti nicht
erwähnt sind. Ich glaube also, dass man nicht daran
zweifeln darf, dass wirklich die Abgüsse Primaticcio's
in der Galerie aufgestellt waren; ob Madame d'Etam-
pes dies absichtlich veranlasst hatte, um dem Floren-
tiner zu schaden, wie er annimmt, ferner ob sie ab-
sichtlich das Mahl so lange hingezogen hat, bis es
fast zu spät war, noch zur Besichtigung zu gehen,
das sind andere Dinge, die nicht wahr zu sein brauchen,
sondern die nur auf Annahmen beruhen können, wie
sie der argwöhnische und sich selbst über alle anderen
stellende Florentiner zu machen gewohnt war. Aber
von dem Vorwurf, einfach Erdichtetes berichtet zu
haben, den ihm L. Dimier macht, ist er jetzt glück-
lich freigesprochen. Vielleicht steht es mit den
anderen Beschuldigungen, die L. Dimier in der Revue
archeologique i8g8 I, S. 241 gegen Benvenuto Cellini
aufgestellt hat, nicht besser; der Umstand, dass Ben-
venuto plötzlich Paris verlässt, um nach Italien zurück-
zukehren, und sich unterwegs zwei silberne Gefässe
abnehmen lässt, sieht ja von vornherein etwas be-
denklich aus, aber man muss, nachdem in dem einen
Punkte die Ehre Benvenuto's sich so glänzend heraus-
gestellt hat, sich doch hüten, ohne weitere Beweise
gleich das Böseste von ihm anzunehmen. Wenn
Benvenuto sich bei dieser Sache einer schlechten That
bewusst gewesen wäre, so hätte er sie doch leicht
unterdrücken können, ohne einen Angriff von anderer
Seite fürchten zu müssen. R. ENGELMANN.

1) Der Originaltext lässt gar keinen Zweifel darüber
bestehen, dass die Kerze schon vorher angebracht war,
nicht erst in jenem kritischen Augenblicke angebracht wurde,
vgl. Vita di Benv. Cell., testi critici, per cura di Orazio
Bocci, Firenze 1901, S. 309: haveva il ditto Oiove innella
sna mano destra accomodato il suo fulgore in attiludine di
volerlo trarre, et nella sinistra gli avevo accomodato il Mondo.
Infra le flamme havevo con molta destrezza commisso
an pezo d'una torcia bianca. L. Dimier übersetzt: fort
adroitement je placai un morceau d'nne torche blanche entre
les flammes du. foudre, es müsste aber richtiger heissen
j'avais place. Dann würde niemandem ein Zweifel darüber
bleiben, dass Cellini die Kerze schon vorher angebracht
hatte.
 
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