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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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Hevesi, Ludwig: Wiener Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.5810#0081

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Wiener Brief

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nicht ohne Wirkung bleiben kann. Der Kopf des
soeben verschiedenen Erlösers, mit dem schwer an
der rechten Schläfe vorbeifallenden Haar, dessen
Schatten auf das Antlitz fällt, erinnert an den Ge-
kreuzigten des Velazquez. Der andere Bildhauer ist
der Böhme Adalbert Saff, der'für das Treppenhaus
des Pilsener Museums zwei figurenreiche Reliefs aus
der böhmischen Sage (»böhmische Amazonen*, Weiber-
krieg gegen die Männer, Männersieg über die Weiber)
gearbeitet hat. Die Komposition ist etwas zu ge-
drängt, der Typus eine zierliche Wildheit, mit
nationalen Zügen, z. B. dicken Zöpfen nackter
Kriegerinnen, slavischen Schnauzbärten aufgelegter
Balladenfiguren aus der Prager Balladenzeit Alfred
Meissner's und Karl Egon Ebert's. Im ganzen doch
lebendige Gestaltungen. Unter den Bildern seien
die nebelduftigen, kühl gestimmten Baumlandschaften
August Schäffcr's hervorgehoben, denen sich Land-
schaftliches von Robert Russ, Zoff, To/nee anschliesst,
»jägerische Porträts von Pochwalski und Ivanowits,
ein weisslich und schwärzlich gestimmtes Phantasie-
weib von Veit Ii und eine grosse Mattathiasscene von
Jeliudo Epstein, der in seinen krachenden Farben
noch Klärung sucht. Überraschend ist einiges Aus-
gegrabene von Matejko, namentlich ein weibliches
Brustbild aus ganz früher Zeit, durchaus akademisch,
ohne Spur seines späteren Elements. Auch ein
üppiges Strandmotiv vom Bosporus, ohne Staffage,
ist ein Kuriosum seiner Palette, die hier freilich schon
von Sattheit strotzt. Schliesslich sei als Clou nach
anderen als Popanz — der Ausstellung Sascha
Schneidens grosse allegorische Bildergruppe, sagen
wir Dekaptychon: Um die Wahrheit' genannt, das
diesen Sommer in Düsseldorf hing. Die Leute aus
Philistäa stutzen natürlich und lachen, namentlich
über das gewaltige Predellabild mit den zwanzig
lebensgrossen nackten Kämpfern auf schwarzem
Grunde, die wie das aufgerollte Bild einer unge-
heuren rotfigurigen Vase erscheinen. Das Werk zu
schildern und zu würdigen ist an dieser Stelle nicht
meines Amtes. Aber es gehört zu den Merkwürdig-
keiten der neuen deutschen Malerei.

In der Secession ist die XV. Ausstellung eröffnet,
die sehr viel Wertvolles bringt und auch als Raum-
gebilde überrascht hat. Namentlich that dies der
kreisförmige oder vielmehr cylindrische Mittelbau (von
Leopold Bauer), oben weiss, unten matt dunkelrot
(mit einem von Kolo Moser eigens erfundenen reizen-
den Seidenbrokat), der mit der einfachen Logik einer
geometrischen Formel wirkt. Diese Tribuna ist
durchaus mit Gemälden des Grafen Leopold Kßlckreuth
behängt, in allen seinen Manieren, bis auf die neuesten
Hamburger Hafenbilder herauf. Ein grosser weisser
Salon, von Moser mit anheimelnder Simplizität aus-
gestattet, enthält lauter Bilder Rudolf von Alfs; eine
Art Nachfeier seines neunzigsten Geburtstages. Es
sind welche aus allen seinen Lebensaltern da, bis
182g zurück. Von besonderem Interesse sind die
Privatissima, z. B. eine grosse Tuschzeichnung der
Stephanskirche, noch mit unausgebauten Seitengiebeln,
oder eine grosse Aquarellskizze der Enthüllung des

Erzherzog Karl-Denkmals (1860), ein förmliches Steno-
gramm in Wasserfarbe, mit allen malerisch pikanten
Charakterzügen dieser militärisch-offiziellen Parade-
scene. Die letzten Bilder sind zwei grosse Aquarelle,
die er im Sommer 1892 in Goisern gemalt hat, vor
und nach seinem methusalemischen Ehrentage. Das
eine stellt den alten Apfelbaum vor seiner Veranda
vor, eine Baumstudie von intimster Durchdringung
und ganz prächtigem Leben im Licht. Das Blatt

I erregt das grösste Staunen. Die andere Landschaft
zeigt das ganze grüne, blumenbunte Gelände zu
Füssen des Ramsauergebirges, dessen graue Mauer-
massen im Hintergrunde aufragen. Einen grossen
Saal hat sich die Krakauer Secession: »Sztuka< (Kunst)
eingerichtet. Es ist eine starke nationale Stimmung
darin, nicht nur wegen der Eigenart der dargestellten
slavischen Natur, sondern auch wegen der gemein-
samen polnischen Seele der Künstler. Diese Bilder
und Plastiken sind angeordnet wie eine grosse
Seufzerallee, die mit einem Landschaftsbilde von
trister Grösse (»Die Erde-, von Ferdinand Ruszczyc,
einem ihrer Jungen ) abschliesst. Und in dieser
Allee wandelt der grosse Dichter Mickiewicz und
wird vor Begeisterung ohnmächtig, während er an
seiner Dichtung Dziady schafft (Bronzestatue von
Waclaw Szymanowski). Dieses Jungpolen ist überaus
begabt und weist jetzt Meister von hohem Rang auf.
Josef Chclmonski wird als der grosse Landschafter
der Rasse gerühmt. Seine Rebhühner im Schnee,
wenn auch japanisch beeinflusst, ernten viel Lob.
Seine Bauern in der Kirche und Provinzleute mit
wilden Pferden »auf dem Vorwerk« sind in jeder
Faser polnisch. Josef Mehoffer, der so spanisch tiefe
Kolorist, der soeben Professor geworden, bringt
energische kleine Farbenskizzen für die Ausschmückung
kirchlicher Räume (Schatzkammer in Krakau) und ein
koloristisches Phantasiestück: Ein seltsamer Garten«,
wo Grün und Blau gegeneinanderknallen und eine
echtgoldene Riesenlibelle, wie sie zu solcher Sym-
phonie passt, wie ein goldener Kronleuchter in der
Luft schwebt. Wyspianski hat märtyrerhafte Einzel-
figuren für Kathedralenfenster, mit eigentümlichem
Lodern in allen Formen. Stanislawski ergeht sich
in den zarteren Melancholien der polnischen Land-
schaft, wie Axcntowicz in der »Seelentrauer« schöner
nachdenklicher Mädchen. Dazwischen dann Mal-
czewski's allermodernste Keckheiten, die ein »Frühlings-
lied« bedeuten, und der junge Konstantin Laszczka
mit seiner oft bizarr angehauchten Plastik, mit der

| man sich befreunden möchte. Sie haben immer etwas
Originales, auch wenn sie etwa in Paris wohnen,
wie der Bildhauer Szymanowski, dessen »Mutterkuss
sichtlich in Rodin's Nachbarschaft entstanden ist und
dessen kolossale Tritonenköpfe (in gres Muller) den
Humor der Wasserspeier von Notre-Dame streifen.
Diese polnische Spezialausstellung ist ein grosser
Wiener Erfolg und hat diese nationale Gruppe inter-
national gehoben. Auch ein Leibizimmer hat die
Secession eingerichtet, mit einer Anzahl starker Bilder
des Meisters, die viel bewundert werden. Die Leser
dieser Zeitschrift kennen sie wohl schon. Dann ist
 
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