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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [2]
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.5810#0090

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Pariser Brief

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Betrug, aber seither haftet ihm etwas der Fluch der Lächer-
lichkeit an und obgleich er genau so malt wie Corot, er-
zielen seine Bilder nur geringe Preise. Seine gegenwärtige
Ausstellung zeigt wieder, was wir schon lange wissen,
dass er nämlich nicht die geringste selbständige Eigenart
besitzt, sondern ganz und gar in der Haut Corot's ver-
schwindet. Jedes einzelne seiner bei Bernheim gezeigten
Bilder könnte den Namen Corot tragen und würde niemals
von einem Kenner angezweifelt werden. Wäre Trouillebert
kein ehrlicher Mann und kein stolzer Künstler, der seinen
eigenen Namen zur Anerkennung bringen will, so hätte
er durch die Fabrikation falscher Corot's Hunderttausende
verdienen können. Immerhin wirft es ein bezeichnendes
Licht auf das kaufende Publikum, dass diese Bilder, deren
jedes zehntausend Franken wert wäre, wenn es den Namen
Corot trüge, für wenige hundert Franken verkauft werden,
weil auf ihnen Trouillebert steht. Die Käufer bezahlen
eben nicht das Kunstwerk, sondern seine Unterschrift.

Die vorjährige Kunstrede des deutschen Kaisers scheint
doch einen ganz gewaltigen Eindruck auf die Franzosen
gemacht zu haben. Die Monatsschrift »Mercure de France«
hat eine Enquete über den deutschen Einfluss auf das
französische Geistesleben im 19. Jahrhundert veranstaltet,
und sämtliche Künstler, die geantwortet haben, beziehen
sich in ihren Antworten auf die vielbesprochene Kunstrede
des deutschen Kaisers. Dass sie sich mit den Ansichten
Wilhelm's II. nicht einverstanden erklären, liegt auf der
Hand. Bartholome, der Schöpfer des herrlichen Toten-
mals auf dem Pere-Lachaise, geht mit dem Kaiser sehr
streng ins Gericht, indem er ihm einfach jegliches Kunst-
verständnis abspricht. Andere Künstler sind nicht ganz so
herb in der Form, sagen aber im Grunde das nämliche,
und jeder von ihnen behauptet zum Schlüsse ungefähr das-
selbe von Frankreich, was der deutsche Kaiser von Deutsch-
land oder vielmehr von Berlin gesagt hat. Vermutlich haben
die Leute, die Paris für den Brennpunkt künstlerischen
Schaffens erklären, nicht ganz Unrecht, aber französische
Künstler, die von der deutschen Kunst nur das kennen,
was man ihnen hier in Paris zeigt, also so gut wie nichts,
sollten doch mit ihrem vernichtenden Urteil etwas vor-
sichtiger sein, zumal in einem Augenblicke, wo sie die
nämliche Unkenntnis der französischen Kunst bei einem Aus-
länder verdammen. Die richtigsten Sätze hat bei dieser Ge-
legenheit der Kunstschriftsteller Octave Uzanne geschrieben,
der wirklich Deutschland und die Deutschen zu kennen
scheint, indem er sagt: »Ich glaube nicht an die Vorherr-
schaft Deutschlands auf dem Gebiete der Kunst, aber
trotzdem hat meines Erachtens der deutsche Kaiser ganz
recht, sich so zu stellen, als ob er daran glaubte. Denn
die Deutschen sind bescheidene und furchtsame Menschen,
die kein Selbstvertrauen haben, die gerne ihre eigene
Schwerfälligkeit verspotten, und die in einer Weise, die
uns fast unglaublich vorkommt, die französische Vortreff-
lichkeit auf den Gebieten der Kunst und der Litteratur
loben und preisen. Der deutsche Kaiser hat recht, wenn er
diesen Leuten etwas nationale Eitelkeit einzuflössen sucht.«

Endlich ist das neue Museum der Stadt Paris, das
man in dem kleinen Kunstpalast der letzten Weltausstellung
eingerichtet hat, dem Publikum eröffnet worden. Damit
erhält man nach langem, durch die vorausgeschickte Re-
klame unleidlich gemachtem Warten einen Einblick in die
vielgepriesenen Schätze der Sammlung Dutuit. Und da
kann man sich dem Eindruck nicht verschliessen, dass die
Lobredner den Bogen etwas gar zu scharf gespannt haben.
Das beste an der Sammlung ist das fast vollständige
Radierwerk Rembrandt's, das mindestens ebenso vollständig
im Kupferstichkabinett der Nationalbibliothek aufbewahrt
wird, für Paris also keine neue Erwerbung bedeutet. Von

Malern sind eigentlich nur holländische Kleinmeister ver-
treten, darunter Brouwer, Terborch, van Goyen mit sehr
guten Sachen. Auch ein kleines Ölgemälde von Rembrandt
ist in der Sammlung: das Bildnis eines Mannes in orientali-
scher Kleidung, der in der linken Hand einen hohen Stock
hält, und vor dem ein Pudel sitzt. Sonst sind von Malern
nur einige Franzosen aus der Rokokozeit vertreten, be-
sonders Pater und Audran. Auch von dem Deutschen
Hackert, dessen Lebensbeschreibung Goethe herausgegeben
hat, ist eine Landschaft da. Besser und reichhaltiger als
die Ölgemälde sind die Zeichnungen, darunter mehrere
Rembrandts, ein verdächtig ängstlich und behutsam hinge-
strichener Lukas van Leyden, viele holländische Kleinmeister
und Franzosen aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Indessen
ist hier nichts, was im Louvre fehlte, und man kann sagen,
dass man im Louvre jeden einzelnen Künstler hundertmal
besser vertreten findet, als in der Sammlung Dutuit.

Der übrige Inhalt der Sammlung übersteigt keineswegs
das Mass einer mit Verständnis und Geld zusammenge-
brachten Privatsammlung und verdient kein überschweng-
liches Lob. Hier und da macht sie den Eindruck einer
weniger mit Methode als durch Zufall zusammengekom-
menen Kollektion. Es giebt da orientalische Fayencen,
italienische Gläser, Schmelzarbeiten von Limoges, Tanagra-
figürchen, antike Bronzen, Möbel aus dem 17. und 18. Jahr-
hundert, römische Münzen, Medaillen aus der Renaissance,
Gobelins und was immer einen Sammler reizen kann, aber
auf keinem dieser Gebiete wird uns irgend etwas Neues
oder besonders Wichtiges und Schönes gebracht, und
nirgends ist die Sammlung zu solcher Vollständigkeit ge-
diehen, wie bei den Radierungen Rembrandt's. Alles in
allem gewinnt man die Überzeugung, dass Herr Cain, der
Direktor der städtischen Museen, den Wert dieser Samm-
lung ungemein übertrieben hat. Ich glaube nicht, dass
sich hier auch nur ein einziges Stück befindet, das man in
den anderen Museen und Sammlungen in Paris nicht besser
oder mindestens ebensogut finden könnte.

Dagegen ist der Teil des neuen Museums, von dem
man bisher gar nicht gesprochen hat, überaus interessant.
Die Stadt hat aus ihrem Besitze einige hundert Gemälde
hergegeben, die im kleinen Palaste Platz gefunden haben.
Darunter sind ganz vorzügliche Arbeiten unserer besten
zeitgenössischen Künstler. Die Skulptur ist nicht so gut
vertreten, aber die moderne Malerei enthält ganz ausge-
zeichnete Sacl.en, und fast möchte ich sagen, dass man
die Leute, auf die es wirklich ankommt, hier besser studieren
kann als im Luxembourg. Jedenfalls gewinnt man die Über-
zeugung, dass die Stadt mit weit mehr Verständnis ein-
kauft als der Staat, der sich bei seinen Bestellungen und
Einkäufen mit Vorliebe an die Vertreter der akademischen
Professorenkunst wendet. Das neue Museum besitzt einen
der besten und schönsten Henner, zwei nackte Nymphen
an einem stillen Weiher im Waldesdunkel, von der
Dezennale der letzten Weltausstellung wohlbekannt; drei
herrliche, ebenfalls auf dieser Weltausstellung erschienene
Daumier's: die Schachspieler, den stehenden Liebhaber der
Kupferstiche und drei Köpfe von Liebhabern, ausserdem
ein Aquarell: bettelnde Strassenmusikanten; mehrere Bilder
von Roll, darunter eines seiner schönsten, das Fest im
Grünen, wo die jungen Frauen im Grase lagern; einen
der charaktervollsten Neuville: der Kampf um den Kalk-
ofen; einen wunderbaren Fantin-Latour: die Versuchung
des heiligen Antonius, eines der musikalischsten und har-
monischsten Blätter dieses feinen Meisters; einen der besten
Pointelins: einsame braune Landschaft, ein zerzauster Baum,
eine silberne Wasserlache; von Cottet ist hier der charakter-
volle Kirchgang: die durch die braune Landschaft hin-
schreitenden, in unförmliche schwarze Mäntel gehüllten
 
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