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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5810#0113

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203

Pariser Brief

204

rungen sind direkt nach dem Modell mit der Kalt-
nadel gearbeitet und einige davon, so besonders das
kleine Blatt von Degas in ganzer Figur und das aus-
gezeichnete Brustbild von Verlaine, sind wahre Wunder-
werke von scharfer und schneller Beobachtung und
treuer, mitunter fast genialer Wiedergabe. Auch als
reproduzierender Künstler hat Desboutin gearbeitet,
indessen ist von diesen Arbeiten nicht viel zu sagen.
Nur vier grosse Schäferscenen von Fragonard, die er
wirklich ausgezeichnet in der anmutig tändelnden
Manier der Rokokokünstler gestochen hat, mögen hier
erwähnt werden.

Die Leute, welche die Ausschmückung des Pantheons
überwachen, haben dabei offenbar von Anfang an die
Idee verfolgt, ein grosses Bilderbuch zu machen, das
von den bekanntesten Malern der ersten dreissig Jahre
der dritten Republik illustriert werden soll. So wandten
sie sich an alle zeitgenössischen Grössen der Malerei,
ohne sich dabei im geringsten um die besondere Be-
gabung der betreffenden Leute für dekorative Kunst
zu kümmern. Sogar Meissonier, dieser Miniatur-
künstler, erhielt den Auftrag, eines dieser Riesenbilder
für das Panthon zu schaffen, war aber gescheut genug,
die Ausführung dieses Auftrages so lange hinaus-
zuschieben, bis der Tod ihn von der unangenehmen
Aufgabe befreite. Dagegen haben neben Puvis de
Chavannes, dem einzigen hier vertretenen Maler, der
wirklich den Forderungen der dekorativen Kunst
glänzend gerecht wird, an der Ausschmückung des
Pantheons ein Dutzend Leute gearbeitet, die unter
einem dekorativen Bilde einfach ein in grossem Mass-
stabe gehaltenes Staffeleibild verstehen. So sind hier
Levy und Humbert, Blanc und Bonnat, Lenepveu
und Cabanel vertreten. Es blieb nur noch eine einzige
Wand zu schmücken, für deren Ausfüllung man ur-
sprünglich eine Skulptur beabsichtigt hatte. Falguiere
hatte seiner Zeit eine kolossale Gipsfigur hier auf-
gestellt, die aber so abenteuerlich und karikaturenmässig
aussah, dass sie nach dem Tode ihres Urhebers als-
bald entfernt wurde. An ihre eigentlich beabsichtigte
Ausführung in Bronze dachte man schon nicht mehr,
sobald man sie einmal im Pantheon gesehen hatte.
Die Dekoration dieser Wand ist jetzt dem Soldaten-
maler Detaille übertragen worden, der nicht weniger
als vier grosse Entwürfe aufgezeichnet hat, die alle
nacheinander an Ort und Stelle angebracht und dem
Urteile des Publikums unterworfen werden sollen,
ehe der Maler an die Ausführung des schliesslich
ausgewählten Planes geht. Gegenwärtig ist im Pantheon
der Entwurf des Chant du depart zu sehen, ein Thema,
das von dem Bildhauer Rüde am Grossen Triumph-
bogen in genialer und unübertrefflicher Weise behandelt
worden ist. Der kalte Uniformenschneider Detaille
hat natürlich mit einem solchen Vorwurfe nicht viel
anzufangen gewusst. Er zeigt uns eine demimondäne
Frauengestalt auf einem milchweissen Flügelross, das
dreifarbene Banner der Republik in der erhobenen
Rechten. Diese Gestalt überschwebt Soldaten aller
Waffengattungen, die vorwärts marschieren und bei
denen Detaille wieder einmal zeigt, wie gründlich er
die Uniformen aller Heere der letzten dreihundert

Jahre kennt und welche Wichtigkeit er diesen Knöpfen
und Schnüren beimisst. Von der Begeisterung, welche
jeden Beschauer des Rude'schen Meisterwerkes durch-
tost und hinreisst, ist bei diesem Gemälde Detaille's
nicht das mindeste zu spüren. Er hat sehr unrecht
gethan, sich dieses Thema zu wählen, wodurch der
Beschauer zu einem Vergleiche gezwungen wird, der
den korrekten und kalten Maler einfach erdrückt. Die
anderen Entwürfe Detaille's, die in den nächsten Tagen
im Pantheon gezeigt werden sollen, geben hoffent-
lich nicht zu so gefährlichen Vergleichen Anlass.
Indessen wird man sich auch bei ihnen nicht des
Hinweises auf den benachbarten Puvis enthalten können,
der alle anderen im Pantheon vertretenen Maler er-
schlägt und auch den zu erwartenden Detaille er-
schlagen wird.

Zum zwanzigsten Male stellt bei Georges Petit
die Societe internationale de peinture et de sculpture
aus. Viel Neues bringt sie nicht: die Venetianer
St. Germier, Alfred Smith und Allegre sind wieder
mit ihren grossen und kleinen Kanälen, Gondeln,
Brückchen, Palästen und Kirchen da und Legoüt-
Gerard hat sich für einmal von den bretonischen
Häfen abgewendet, um ebenfalls eine Vedute von
Venedig zu malen; Grimelund zeigt seine nordischen
Berge und Seen, schneebedeckte Landschaft und
rote Holzhäuser; der Amerikaner Friesecke bleibt bei
seinen Interieurs in gedämpften Farbenharmonien,
grün und grau, blau und rot, alles verbleicht und
verrostet, sehr fein und vornehm im Ton. Vortreff-
liche Studien in matten und distinguierten Farben-
gebungen sind auch die Bilder von J. W. Morrice,
besonders die Bouquinisten am Seinekai, die von der
Schule heimkehrenden kleinen Mädchen auf der Land-
strasse und der Ausblick auf das von weissen Segel-
schiffen belebte blaue Meer. Chudant bringt wieder
einige Wasserbilder: alte verfallene Mühlen, an denen
das Wasser gespenstisch und seltsam vorbeirauscht;
und Fräulein Delassalle findet den nämlichen grün-
gelben Ton, den wir von ihren Pariser Veduten kennen,
auch in den holländischen Kanälen. Neu ist hier
Felix Borchardt, der vor einiger Zeit eine Sonder-
ausstellung bei Bing hatte. Dieses Mal zeigt er ein
weibliches Modell in einem prächtigen japanischen
Kostüm, eine flotte Arbeit, nur etwas skizzenhaft un-
fertig. Wie bei den damals im Art nouveau aus-
gestellten Arbeiten fiel mir auch bei dieser Japanerin
die unverkennbare Verwandtschaft der ganzen Mal-
technik dieser Arbeiten mit der Art eines bekannten
deutschen Malers auf, der lange in Paris und Holland
gelebt hat; und nachdem man neulich bei der Ver-
steigerung Humbert Bilder gesehen hat, die von Fre-
deric Humbert unterzeichnet, aber von Roybet gemalt
waren, kann ich mich kaum des Verdachtes erwehren,
dass es sich hier um etwas Ähnliches handelt. Als
ausländischer Gast stellt in diesem Jahre Alma Tadema
aus, dessen glänzende Technik in der Wiedergabe
des Marmors zur Genüge bekannt ist. Leider sind
auch die Bäume, die Menschen und der Himmel
Alma Tadema's aus Marmor. Um uneingeschränktes
Lob zu verdienen, sollte er nur leere Marmorterrassen
 
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