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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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Dülberg, Franz: Münchner Brief, [2]: (Emil Lugo - Alfred Kubin - Karl Bauer - Segantini)
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https://doi.org/10.11588/diglit.5810#0163

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303

Münchner Brief

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und gegeneinander gesetzten Farbenflecken festgehalten, be-
kamen dort eine, man möchte sagen musikalische Ver-
wandtschaft mit den Figuren eines Qravelot und Moreau
in den Stichen der Prachtbücher des 18. Jahrhunderts.
Leider ist bei ihm die letzte Hand oft die Feindin der
Skizze. Wenige haben seinen feinschmeckerischen Farben-
sinn, aber in seinen ausgeführten Bildern wirkt die Farbe
durch zu bekümmerten Auftrag oft klebrig und undurch-
sichtig. Nicht viele erfassen die Massenverhältnisse eines
Kopfes so klar wie er, aber in seinen durchgearbeiteten
Lithographien sind die Umrisse bisweilen durch zu starke
Wiederholung der Linien beschwert. Wir sehen an einigen
Stellen derben Hanf, wo wir flatternde Seidenfäden erwarten.
Die Kraft, auch bei sorglicher Kalligraphie den Reiz
energischer Handzüge zu wahren, jene tänzerisch leichte
Kraft muss dem ein wenig zu deutschen Maler noch eigen
werden.

Von den beiden Gemälden, in denen Bauer den Lyriker
Stefan George, den reinsten Krystallisator, den die deutsche
Sprache in unserer Zeit hat, darstellt, ist mir weniger das
grosse, auf gelb, violett und grün gestimmte Ölbild des
Lesenden am Tische, als das nur violettbraune Pastell-
profil erfreulich, das in dem weichen metallischen Fluss
der Züge und dem leicht gewellten Haar dem Dichter eine
beglückende Jugendlichkeit giebt. Ganz der Erscheinung
hingegeben zeigt sich der Künstler in der Bildstudie zweier
Mädchen im Schlafzimmer. Die Linke steht, ihre orange-
farbene Schärpe in der Hand. Die Rechte sitzt und liest,
ihr Oberkörper ist noch nackt. Ihr rotes Untergewand
klingt mit der hellroten Zimmerwand gegen das grüne
Laub vor dem offenen Fenster. Das Licht fällt blaurot
auf das Bett, es durchklärt die braunen Haare der Sitzenden.
Die gleiche Freude am Rot schuf das noch lebhaftere, aber
etwas harte Bild einer reif prangenden Frau in rötlichem
Haar, die in Vorderansicht vor einem Tische und einem
roiverhangenen Fenster steht. Der schwarze Hut, ein grau-
grünvioletter Mantel, im Hintergrunde eine vom Rot be-
glänzte weisse Kinderbüste, und ein Bouquet schliessen
die Farbenreihe. Auf dumpfere Töne gestimmt ist das
Profil einer Frau in ausgeschnittenem hellvioletten Kleid
vor rotvioletter Wand. Das farbig beste Werk des Malers
ist das Brustbild eines Mädchens in Seitenansicht. Die
sehr feinen Züge werden gehoben durch das braune nieder-
fliessende Haar, in das eine Perlenschnur verwoben ist.
Die wie aus durchleuchtetem Elfenbein geschnittene Hand
hält einen schimmernden Nautilus.

In den Vordergrund der Beachtung tritt Bauer aber
durch seine Steindrucke und besonders durch sein schon
von weitem Erfolge begleitetes Unternehmen, die Züge
der Männer, deren Werke das Leben unserer heutigen
Besten bestimmen, in einer aus der Erkenntnis ihrer Früchte
geborenen Durchdichtung auch den Häusern mittleren
Wohlstandes als gedankenvollen Wandschmuck zu bieten.
Goethe, der Unendliche, ist auch für ihn der erste. Von
den zahlreichen Blättern, in denen er den Schriftsteller aus
Frankfurt in seinen verschiedenen Lebenswandlungen fest-
gehalten hat, gefällt mir am besten der Sesenheimer.
Leidenschaftlich ist das Gesicht, fast nur Profil, nach links
gewandt. Kraftvoll fesseln die Augen. Das weisse Hals-
tuch, lose umgeschlungen, flattert unruhig zurück. Auch ein
weit übergreifender Baumast im Hintergrund sagt es: der
Sturm weht seinem Bruder entgegen. Dann der Olympier.
Ganz in Vorderansicht, in ruhigster Haltung tritt die
prächtige, etwas faltige Masse des Gesichtes uns entgegen.
Weisses wie flammendes Haar umgiebt die mächtige Dom-
kuppel der Stirn. Die beiden gewaltigen Augen werden
jeden, der das Blatt besitzt, oft mahnend und tröstend zu-
gleich anblicken. Schiller wurde zweimal von Bauer ge-

geben: einmal im Profil, nach rechts gewandt, mit brennen-
dem Blick. Stark sind die knochigen, vielgebogenen un-
schönen Züge betont, reich das berühmte rote Haar mit
starken eigenhändigen Eingriffen nach Fertigstellung der
Platte belebt. Ergreifender wirkt die Dreiviertelansicht.
Aus dunklem Grunde taucht, in der Wirkung Carriere'schen
Bildern ähnlich, nur die Kopfmaske empor, mit hellstem
Licht auf der Stirn. Die Augen aber liegen ganz im Dunkeln.
Es ist der Dichter der »Gruppe aus dem Tartarus«. Neben
dieses Blatt tritt leicht Hölderlin. Ein weicher, versonnener
fast weiblicher Kopf mit verschleiert blickenden Augen, in
ganz dünnen weichen, verschwimmenden Linien festge-
halten. Ein weniger gelungenes, vor allem zu stark mit
dunkler Farbe beladenes Stück ist »Beethoven am Klavier.«
Der Kopf ist zurückgeworfen, das Auge gesenkt, der Mond
steht voll in der Nacht. Der Ausdruck ist doch eher
mürrisch hochmütig, als von tragischem Stolz. Eines der
weissesten, freiesten Blätter des Meisters ist dagegen der
junge Heine. Wir sehen das eigentlich hübsche Gesicht
von vorn; ein leise spöttischer und dabei doch melancho-
licher Zug belebt den Mund. Deutliche Spuren der Nach-
arbeit des Messers auf dem schon druckfertigen Stein sind
hier zu bemerken. In schwererer ruhigerer Erscheinung
tritt naturgemäss Bauer's enger Landsgenosse Moerike vor
uns. Er hält ein aufgeschlagenes Büchlein vor das sinnende
Auge, ganz wie ein echter Pfarrer. Das Weiche in dem
massigen Kopfe ist gut beobachtet, die schöne gewellte
Stirn und die Falte unterm Auge. Eine der einfachsten
und zugleich eindrucksvollsten und beliebtesten unter den
Lithographien ist die Schopenhauer gewidmete. Trefflich
ist schon die Raumverteilung: wie in dem mittelgrossen
Breitblatte der Kopf ohne alles Beiwerk links unten an den
Rand gesetzt ist. Da kommt vor dunklem Grunde der
rocher de bronze des durchfurchten Schädels, kommen die
reich durchgebildeten Augen zu schönster Geltung. Von
der herben kundigen Kritik Meister Arthur's in das Reich
prangendsten Eigenwillens leitet Richard Wagner. In dem
am meisten plastischen seiner Blätter hat Bauer ihn dar-
gestellt, in Dreiviertelansicht nach rechts, den Kapellmeister-
stab in gebietender Hand. Mächtig breitet sich die Stirn,
schlaff schon liegen die Wangen. Im Hintergrund steigen
die Tonwellen des Feuerzaubers auf. Wagner's edelster
Judas, Friedrich Nietzsche, ende die Folge. Auf dem
breiten Blatte ist der Kopf mehr nach links gerückt, die
schmerzend schwere Stirn in die Hand gestützt. Dahinter
aber leuchtet die Sonnenscheibe, schwingt sich der Adler.

— Doch sollen wir bei einer Darstellung Nietzsche's daran
denken, dass der Mensch zuletzt krank wurde und starb?
Kümmert es uns, was aus der Kohle wird, nachdem sie
brennend ihre herrliche Wärme uns gegeben?

Unter den Steindrucken Bauer's, die Personen unserer
letzten Zeit wiedergeben, nehmen schon der Zahl nach

— fünf — die Darstellungen Stefan George's einen weiten
Platz ein. Drei seien herausgehoben. Ein im Umfang
bescheidenes Blatt bietet den Dichter als Kniestück, in
leichter Wendung nach links, die Hände über dem langen
Rocke verschränkt, das Haupt erhoben, die Augen streng
niederblickend. Jene pessimistische Abgeschlossenheit
spricht hier sich aus, in die bedeutende Menschen sich
für Zeiten unter dem allzuoft sich wiederholenden Ein-
drucke flüchten, dass in der Welt meistens mit Kupfer-
münze gezahlt wird. Technisch ist die Arbeit bedeutsam
durch die sparsam nur starke Licht- und Schattenflecke
gebende, eine schöne Schwarzweisswirkung erzeugende
Behandlung. Freilich ist dies nicht die Sprache der Litho-
graphie, sondern die des Originalholzschnittes, wie ihn
Veldheer in Holland, Kongstad in Dänemark zu prächtigem
Leben erweckten. Wollte Bauer diese Fertigkeit erlernen,
 
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