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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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Kesser, Hermann: Die Galerie Henneberg in Zürich
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https://doi.org/10.11588/diglit.5810#0170

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Die Galerie Henneberg in Zürich

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hat, der kennt die sogenannte Kunstauffassung, die sich
durch die Geistesarmen für das Heini des Kunstbanausen
berechneten Schöpfungen dieser Maler zieht.

Im Anschluss an die Genannten verzeichnen wir ohne
weiteres ein Porträt der russischen Kaiserin von Koppay
und ein Bildnis Kaiser Wilhelm's Ii. von Wimmer. Die
Kunst Koppay's und Wimmer's steht in diesen Gemälden
im Widerspruch zur Stellung der dargestellten Personen,
sie ist nichts weniger als fürstlich. Koppay's Kaiserin-
bildnis ist sogar im höchsten Grade geschmacklos, die
vielen, lärmenden Details der Toilette vermögen über die
geistlose Auffassung nicht hinwegzutäuschen.

Ein grosses Historienbild von Theodor Rocholl hat
als augenfälliges Charakteristikum nur seine ungewöhnliche
Dimension. Kaiser Wilhelm L und Bismarck werden nach
der Schlacht bei Sedan besseres gewusst haben, als sich
posenhaft hinzustellen, und sich von in Soldatenkostüm
gesteckten Modellen anjubeln zu lassen. Dazu kommt
noch ein undefinierbares Kolorit, schreiende und grelle
Farbeneffekte, die fast unangenehm wirken.

Spitzweg war durch ein reizendes Bildchen, der »Thor-
wächter« und Eduard Schleich durch eine kleine, aber treff-
liche Stimmungslandschaftvertreten, Anselm Feuerbach durch
sein Selbstporträt als Lautenspieler; klassische Linien und
eine vornehme Auffassung waren die unverkennbaren Merk-
male eines klassischen Werkes.

Wir wollen nur kurz einer grossen Bleistiftzeichnung
Wilhelm Kaulbach's gedenken »Jesus letzte Rast«, und
eines grossen Makart »Bacchantenfamilie«, um uns zum
Besten zu wenden, was die Galerie nächst Menzel ihr
Eigen nannte, zu Böcklin, Liebermann und Segantini.

Makart's »Bacchantenfamilie« gehört jedenfalls in eine
Zeit des Künstlers, wo er sich, ohne in Süsslichkeit auf-
zugehen, noch mit grosser Lust im »Dekorativen« erging.
Denn dekorativ ist die grosse Komposition gedacht, darum
die füllenden Putten, darum das reiche Material von
schmückenden Blumenkränzen, und das Stillleben von
üppigen, saftstrotzenden Früchten. Dass er das wonne-
trunkene Weib und den bocksfüssigen Satyr in die Mitte
stellte, das war ihm nur Mittel zum Zwecke. Er bedurfte
der weichen Körperformen des knieenden Weibes und
des Silen, dieser sinnlichen Gruppe, um seine Darstellung
auf den nötigen Grundton zu stimmen; denn vom Charakte-
ristischen für Bacchanten hat das Paar wenig an sich.
Einzelheiten, wie das satte Rot des Tuches, und der Fleisch-
ton, der in Farbenharmonien verschwimmende nebulose
Hintergrund, ist von aparter Schönheit. Makart treibt hier
wie so oft, ein raffiniertes Spiel mit schwüler Üppigkeit,
mit nacktem Fleisch, satten Farbtönen, pausbäckigen
Amoretten und dekorativen Früchten und Blumen, alles
gesehen mit den Augen trunkenster Sinnlichkeit.

Mit Makart schliessen wir die ältere Schule, die in
der Henneberg-Galerie Platz gefunden hat, ab. Den Reigen
der Modernen eröffnet Lesser-Ury mit seinem Jerusalem«.
Das Bild hat — soviel ich weiss — im Jahre 1896 bei
seinem Erscheinen auf den Ausstellungen viel von sich
reden gemacht. Man ist sich darüber einig, dass Lesser-
Ury ein Künstler ist, nur beschränkt er seine Darstellungs-
mittel zu sehr, als dass man ihm mit voller Befriedigung
gegenübertreten könnte. Der Gedanke ist gross: Am
Ufer eines weiten Stromes sind die Söhne Israels ver-
sammelt, in stumpfer, resignierter Niedergeschlagenheit
denken die Gefangenen besserer kommender Zeiten. Einige
hocken am Boden, andere sitzen trauernd, zusammen-
gesunken auf einer Bank und achten auf nichts in ihrer
Umgebung, nur einige wenige haben den Blick in die
Ferne gerichtet; in strengen Konturen zeichnen sich die
scharf unirissenen Profile am helierleuchteten Hintergrund

ab; dort drüben winkt ihnen ein schönes, glückliches
Land, wir wissen es aus dem goldenen Licht, in das zum
wirksamen Kontrast gegenüber dem schwarzblauen Dunkel,
welches die trauernden Israeliten einhüllt, der Strom und
die verschwimmenden Ufer getaucht sind. Auf dieser
gegensätzlichen Wirkung ist das Bild aufgebaut und der
Künstler hat sich nicht gescheut, deshalb, um ja alles
Nebensächliche zu entfernen, im Vordergrunde die Figuren
nur in undeutlichen Umrissen zu geben; die Form löst
sich hier in schwerere, patzige blaue, schwarze und graue
Töne auf, die in ihrer Monotonie stumpf wirken. Wenn
der Künstler die düsteren kalten Farben warmer leuchten-
der Luft gegenüberstellt, wenn er seine Judenköpfe auf
die kräftigste Erscheinungsform, die Silhouette beringt, so
ist es damit noch nicht gethan. Ist doch mit klobigen
Pinselstrichen nicht weise hausgehalten, unmotiviert und
unverständlich steht oft Strich neben Strich und man kann
sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Lesser-Ury hier
ein gewisses Nichtkönnen durch die impressionistische
Mache zu verdecken suchte, dass sich der Künstler zu
jener Zeit noch nicht der nötigen Ausdrucksmittel sicher
war, um seinen Gedanken in fertige Form zu kleiden.

Da redeten die beiden Böcklins »Ruine am Meer«
und Nacht« doch eine andere Sprache und man konnte
sich an Böcklin's Ausspruch erinnern »Wer von der Natur
abgeht, muss freilich beweisen, dass er das künstlerisch
nötig hatte, um sich deutlich zu machen«. Diesen Beweis
ist Lesser-Ury schuldig geblieben. Böcklin erbringt ihn
bis zur Evidenz. Die Nacht hat etwas Mystisches und
darum Poetisches an sich; diese mystische Poesie wollte
Böcklin zum Bild werden lassen. Er hat sie insonders
durch die wunderbare Landschaft verkörpert. Dasstimmungs-
j gewaltige, abendliche Landschaftsbild, der einsame, mond-
beschienene Weiher und das schlichte Häuschen, der
dämmerige unheimliche Hauch, der über diesem Stück
Erde liegt, macht uns dieses Bild lieb, weniger die Figur,
die allegorische Darstellung der Nacht, eine weibliche
Gestalt, die freischwebend im Räume aus ihrem Füllhorn
der Erde die Ruhe spendet. Man fragt sich nämlich ver-
geblich, wo diese Figur ihre Beine hat. Freilich ist die
Gewandung, der Ausdruck so hochpoetisch, so einheitlich
mit der gewollten Stimmung gedacht, dass man bei
längerer Betrachtung dieses Mankos nicht mehr denkt.
Nicht die Nacht, die keines Menschen Freund ist, nicht
die atra nox hat Böcklin gemalt, sondern die ruhe-
spendende, milde erquickende Nacht, die den Erdenkindern
den wohlthätigen Schlaf spendet. Göttliches Mitleiden
spiegelt sich den ruhigen Zügen der Spenderin.

Eine andere Böcklin'sche Schöpfung, eine »Ruine am
Meer«, ist nicht so nennenswert. Böcklin behandelt sein
Lieblingsmotiv hier wie immer. Auf steilragenden, wild-
zackigen Felsen stehen stolze Trümmer einstiger Herrlich-
keit. Die brausende Flut, der rauhe Fels, sie beide haben
das Menschenwerk erstehen und untergehen sehen. Den
poetischen Gedanken vervollständigt die gespenstige Be-
leuchtung.

Es erübrigt noch von den Liebermanns und Segantinis
zu sprechen, den besten und schönsten Stücken der Galerie
Henneberg.

Liebermann hatte da sein »Altmännerhaus in Amster-
dam« und »Die Schnitter«. Das Altmännerhaus ist neben
der grandiosen Naturkopie auch Bild. Von den perspek-
tivischen Kunststücken und den luminaristischen Feinheiten,
die Liebermann in dieser Schöpfung zur Anwendung
bringt, vermag auch die detaillierteste Beschreibung kaum
einen Begriff zu geben. Der Beschauer blickt in einen
laubenartig von Bäumen und künstlichen Blattpflanzen ein-
gefassten und überdachten Weg, links ein paar Bänke mit
 
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