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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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321

Bücherschau

322

zuerst mit einem Werk über Berliner Kunst eingeführt in
dem 1895 bei J. A. Stargardt erschienenen Prachtwerk
über die »Berliner Goldschmiedekunst«. Es ist eine durch
gründliche archivalische Forschung, Kenntnis der Monu-
mente, Gesckmack der Ausstattung gleich vorzügliche
Publikation, wie wir ähnliche über deutsches Kunstgewerbe
nur ganz wenige besitzen. Und doch, wie wenig sie
gerade bei uns in Berlin bekannt ist, musste ich erst
kürzlich wieder erfahren: einer der eifrigsten Berliner
Sammler, der mit Vorliebe Silber sammelt, gestand mir,
dass er nie davon gehört hatte. Das liegt zum Teil wohl
daran, dass unsere Berliner Kunstsammler, fast ausnahms-
los überlastete und überlaufene Geschäftsleute, eine Art
Wasserscheu vor Büchern haben, in die sie doch nicht
hineinsehen können. Aber ein gut Teil der Schuld liegt
an den Berichterstattern und der Art der Berichterstattung
über litterarische Erscheinungen in unseren deutschen und
ganz besonders in unseren Berliner Zeitschriften und
Zeitungen. Diese verdammten wissenschaftlichen Bücher
— für eine Besprechung muss man ja hineinsehen und
zuweilen sie sogar lesen oder gar von der Sache etwas
verstehen! Und nun gar Bücher über den Orient! Ja
wenn es noch Babel wäre, aber wer in ganz Berlin
interessiert sich denn für die Kunst des Islam! Welches
unserer Museen kümmert sich darum! Eine der wich-
tigsten Kunstepochen, deren Erzeugnisse in mancher
Beziehung zum Vollendetsten und Reizvollsten gehören,
die arabische Kunst, ist hier in Berlin eine terra incognita.
Während wir seit Jahren zwei Orientkomitees für Aus-
grabungen in Vorderasien haben, während wir die intimsten
Freunde der Türken sind oder zu sein glauben, während
wir uns vorbereiten, ihnen die Bahn nach Bagdad zu
bauen, kümmert sich niemand bei uns um die grosse,
herrliche Kunst, die diese Gegenden einst gehabt haben,
sammelt niemand die Reste einer Kultur, von der bald
nichts mehr zu haben sein wird. Niemand ausser Dr.
Friedrich Sarre, dessen Fleiss und Gründlichkeit, dessen
Geschmack in seinen Publikationen wir vor allem auch
bei uns besten Erfolg wünschen, auch dafür, dass sie das
Interesse und den Sammeleifer für diese Kunst anregen
möge! w. B.

Olof Granberg: Aüart van Everdingen och haus »norska*
landskap, det gamla Julita och Wurmbrandt's kanoner.
Stockholm 1902.

In Houbraken's »De groote Schouburg« (1718 — 1721)
wird vom holländischen Landschafts- und Seemaler Allart
van Everdingen (1621 — 1675) erzählt, dass er sich »zur
See zu einem Orte an der Ostsee begeben«, aber »von
einem fürchterlichen Sturme überfallen wurde, der mit oder
gegen seinen Willen und nicht ohne Schaden ihn auf die
norwegische Küste warf«. Auf diese Weise wurde er in
stand gesetzt, Studien nach der Natur des Nordens zu
machen, und Houbraken rühmt auch die »nordischen Land-
schaften« Everdingen's als »besonders ansprechend«. Diese
Gemälde mit sausenden Tannen, kleinen Holzhäusern bei
schäumenden Wasserfällen und steilen Felsen, welche noch
heute, wo sie ringsumher in den Galerien Europas hängen,
dem Besucher einen Mund voll frischer und feuchter
nordischer Luft und ein Gefühl von der Öde und dem
strengen Ernst unserer Natur geben, scheinen, wie Bredius
vermutet, durch den Reiz der Neuheit den Holländern des
17. Jahrhunderts gewaltig zugesagt zu haben, die ja in
der Wirklichkeit und in künstlerischer Nachbildung nur ihr
eigenes Flachland oder möglicherweise ihre Sandberge, die
Dünen (wie in Jan Wijnants' Landschaften) zu sehen ge-
wöhnt waren. Ja Bredius glaubt, dass sogar der grosse
Ruisdael von den Gemälden Everdingen's zum Erfassen

von nordischen Motiven begeistert worden, welche er dann
umdichtete und wiedergab in einer Weise, dass er den
Vorgänger weit übertrifft. Diese Erklärung, wie Ruisdael,
der, nach dem, was man weiss, niemals im Norden ge-
wesen, dennoch Motive von dort geholt haben könne, ist
sehr geistreich und trifft vermutlich auch die Wahrheit.
Ist doch das blosse Faktum, dass ein grösserer Künstler
ein Motiv von einem kleineren leiht und durch den Stempel
seiner eigenen Individualität diese Anleihe zu etwas
Grösserem und Prächtigeren umwandelt, sowohl in der
Kunst- als Litteraturgeschichte so häufig, dass es kaum
ausgesprochen werden braucht.

Aus der Anekdote Houbraken's entstand die Legende
vom langdauernden Aufenthalte Everdingen's in Norwegen
und seinen »norwegischen « Landschaften, und wie gewöhn-
lich ist die Legende mit der Zeit gewachsen. Während zum
Beispiel der Schwede F. Boye in seinem übrigens sehr
originellen Malerlexikon (von 1833) von Everdingen nur
sagt, »dass eine von ihm gemachte Reise auf dem baltischen
Meere (also der Ostsee) zu seiner Vervollkommnung in
seiner Art beitrug«, lässt Emile Michel den nach Norwegen
sturmgetriebenen Everdingen nach einiger Zeit eine neue
Reise nach Norwegen vornehmen, um seine Erinnerungen
von der norwegischen Natur aufzufrischen, ja er vermutet
freigebig genug, dass auch Ruisdael in Norwegen Studien
gemacht. Woermann glaubt sogar, dass Everdingen eine
norwegische Reise in der Absicht gemacht, »die nordische
Bergnatur der Kunst zu erschliessen«. Und in den Galerie-
katalogen findet man oft die Landschaften Everdingen's
als »norwegisch« bezeichnet.

In seinem „bekannten vortrefflichen Staudard work
»Les collections privees de la Suede« (1886) wagte indessen
Olof Granberg mehr im Vorbeigehen seine Zweifel über
den spezifisch norwegischen Charakter der Everding'schen
Landschaften zu äussern. Der Norwege Andreas Aubert
ging acht Jahre später etwas näher auf die Frage ein in
seinem Buche »Den nordiske Naturfölelse og Professor
Dahl«. Auch Aubert bekennt, in den Landschaften Ever-
dingen's mit ihrem entschieden nordischen Gepräge eben
Norwegen nicht wiederzuerkennen. Er sagt: »Es ist eben
nicht unsere »skjaergaards«-Natur, die Everdingen schildert;
sogar die Häuser und die Mühlen können wir nicht wieder-
erkennen, und die Kirchen sind ganzjmders wie die unseren,
sie zeigen mehr nach dem Süden, etwa nach den dänischen
Kirchen«. Wenn der Maler in Norwegen war, so könnte
es in Bohnslän gewesen sein, welche Provinz in der Zeit
von Everdingen's Reise 1640—1645 norwegisch war, aber
1660 von Schweden erobert wurde. Indessen scheint
Aubert doch sich dieselbe Lösung des Problems wenigstens
gedacht zu haben, welche jetzt durch die Arbeit eines schwe-
dischen Kunsthistorikers sich als die richtige erweist, denn
der Norweger nennt in einer Note den wertvollen Fund, den
Bredius gemacht, als er in der Inventur über den Besitz des
1684 gestorbenen Bürgermeister Louis Trip folgende Notiz
fand: »Een Stuck van Julita broeck, sijnde de Schuttgieterij
in Zweden, gedaen door Allart van Everdingen«. Also:,ein
Gemälde von Everdingen mit schwedisch-topographischem
Gegenstand: das Besitztum Julita in Södermanland mit
seiner Kanonengiesserei.

Dieses Gemälde wurde eine Zeit nachher im selbigen
Trippenhuis wiedergefunden, dem stolzen Amsterdamer
Palast der Kaufmannsfamilie Trip, welches bis 1885 als
Galerielokal Dienst machte.

Bredius' wertvoller Fund veranlasste natürlich auch in
Holland Zweifel an dem norwegischen Charakter der Ever-
ding'schen Landschaften. So äusserte C. W. Bruinvis in
seinem Artikel De van Everdingen's (Oud Holland 1899) im
Anschluss an Granberg solche Zweifel, und C. W. Moes
 
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