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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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Hevesi, Ludwig: Neuere Wiener Plastik
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https://doi.org/10.11588/diglit.5810#0177

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Neuere Wiener Plastik

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Boden zu steigen und tragen eigentümlich massige
Voluten und fünfeckige Deckplatten. Das Verhältnis
hat etwas ungemein Pikantes. Dazu der heimliche
Übergang aus dem Kreisrund ins Fünfeck, da es nur
fünf Säulen giebt, und das scheinbar Asymmetrische
des Treppchens, das aber innerlich doch in der
Statue ihr Gegengewicht erhält. Das Ganze so
äusserst einfach,'^wie eine geometrische Formel, und
dabei höchst mannigfaltig. Wie reizvoll hätte sich
dieser weisse Bau mit seinem blassroten Ziegeldach
in einem unserer Parks ausgenommen, eine moderne
Ädicula, eine Brahmskapelle voll weltlicher Weihe.
Es ist Weyr's Entwurf angenommen, mit Änderungen.
Weyr ist uns schon lange das Canondenkmal schuldig,
er ringt schwer gegen seine dekorative Naturkraft,
um zu einer einfachen monumentalen Formel zu ge-
langen. Auch ist es heute schwerer als vor 25 Jahren,
eine Künstlerstatue zu schaffen. Der akademische
Muskelmensch mit seinem gestellten Modelltum, wie
es bei allen Einläufen zum Vorschein kam, ist uner-
träglich geworden. Jeder Wiener kannte den Habitus
Brahms', seine ganz persönliche Erscheinungsform,
und von dieser hat kein Bewerber etwas erhaschen
können. Nur in Klinger's Skizze erkannte man sein
Sitzen und Schauen, sein Verhältnis zu sich selbst
sofort. Merkwürdig übrigens, dass in Wien eine sehr
ähnliche Brahmsbüste existiert, die gar nicht Brahms
vorstellt, sondern den (verstorbenen) Keramiker Ernst
Wahliss, der ihm äusserlich sehr gleich sah. Sie ist
von Tilgner. Der konnte eine Brahmsbüste machen,
selbst wenn er nicht wollte.

Tilgner's Name ist in diesen Wochen auch wieder
lebendig geworden, weil man ein reizendes Brunnen-
werkchen von ihm in Bronze gegossen und in den
Anlagen vor der (von Hansen erbauten) evangelischen
Schule, gegenüber dem Naschmarkte, aufgestellt hat.
»Dem Andenken Viktor Tilgner's die Stadt Wien«,
lautet die Inschrift. Als der Gipsabguss vor etwa
zehn Jahren im Säulenhofe des Künstlerhauses stand,
war alles entzückt und rief: Ankaufen! giessen! auf-
stellen! Aber man kaufte nicht an, goss nicht und
stellte nicht auf. Und es wurden doch damals
mehrere kleine Privatpalais gebaut, in denen dieses
Brünnlein, der Einfahrt gegenüber oder in den Stiegen-
hallen, sich reizend gemacht hätte. Der Gipsbrunnen
kam ins Gerümpel, verstaubte, zerbrach. Nach Tilgner's
Tode erwarb ihn Karl Moll, der Secessionist, für
sein eigenes Heim oder — wenn es ihm gelingen
sollte, das durchzusetzen — für ein Fleckchen des
Stephansplatzes. Dann hörte man ein Jahrzehnt lang
nichts weiter, bis jetzt plötzlich diese vollbrachte That
den Naschmarkt überrascht. Der Errichter des Schindler-
denkmals hat das so in aller Stille ausgeführt, die
Menge weiss es gar nicht, und auf dem Rathause
hat man jetzt glücklicherweise Sinn für solche hübsche
Allotrien. Der Brunnen ist mit zwei Kindern ge-
schmückt, deren eines einen Fisch in die Luft hält.
Dieser speit Wasser und trifft eine Ente, die erschreckt
um die Ecke huscht und dabei ein anderes »Kindl«
umwirft. Erzählt klingt das weniger gut als gesehen,
denn die Scene ist voll Humor in der Beobachtung

und selbst in der Modellierung. In jenem Kinderpark
findet das Werkchen ungeteilte Anerkennung. Auch
im alten Nürnberg Pankraz Labenwolf's hätte man
ihm Beifall gezollt.

Einen Vertreter dieses wienerisch heiteren Zuges
hat unsere Plastik kürzlich (28. Dezember 1902) in
Rudolf Weigl verloren. Er war 1851 in Wien ge-
boren und ein Grossneffe des tüchtigen Altwiener
Musikers Josef Weigl, Komponisten der Oper: »Die
Schweizerfamilie«. Er hat sich unter den Klein-
plastikern durch seine Beethovenstatuette bemerklich
gemacht. Beethoven ist da ganz im Sinne von »Alt-
wien« aufgefasst und schreitet mit langen Schritten
und viel zu kurzen Hosen, die Hände am Rücken
gekreuzt, einher. Gewiss in Heiligenstadt und gewiss
mit einem Stück »Eroica« im Kopfe. Trotz seiner
Putzigkeit ist das Ding nicht ohne einen starken
Respekt gedacht, und diese Popularisierung Beethovens
wurde mit Recht sehr populär. Eine ähnlich gedachte
Schubertstatuette kam bald als Gegenstück dazu.
Für Johann Strauss machte er einst als Festgeschenk
zur 200. Aufführung des »Zigeunerbaron« eine sehr
hübsche Altwiener Walzergruppe in Silber. Schliess-
lich hat sein anmutiges Marmorrelief der Kaiserin
Elisabeth, in Wolken schwebend (Besitz des Kaisers),
viel Anklang gefunden.

Die Wiener Kleinplastik hat übrigens in letzter
Zeit ein Unikum hervorgebracht, Rudolf Marschalls
goldene Gruppe: »Der gute Hirt«, das Jubiläums-
geschenk des Kaisers Franz Josef an den Papst. Das
Werk ist 65 cm lang und 31 cm hoch, das Gold
an der Christusfigur 12 mm dick, an den Schäfchen
fast massiv. Jedes Figürchen ist einzeln gegossen
(von Frommet) und vom Künstler auf das Sorgfältigste
ziseliert. Der Sockel ist ein schmales, längliches
Viereck, etwas absteigendes Weideland, was der fein
ziselierte Graswuchs verrät. Da schreitet der Heiland
niederwärts, das Lamm in den Armen. »Ich bin ein
guter Hirte. Ein guter Hirte lässt sein Leben für die
Schafe«, Joh. 10, 12. Ihm auf dem Fusse folgt dicht
gedrängt die Herde, von der man einen Widder, drei
Schafe und ein Lamm sieht. Christus trägt ein langes
Gewand von schlicht niedergehendem Faltenzug, mit
weiten Ärmeln, aus denen ungewöhnlich schöne, feine
Hände hervortauchen. Die Hand, die sich leicht in
das Vliess des aufgehobenen Lammes einbettet, ist
besonders durchgeistigt. Mild und ruhig bleibt das
jugendliche, spitzbärtige Antlitz, das lange Haar fällt,
hinter die Ohren gestrichen, schlicht auf die Schultern,
alles atmet Frieden und Barmherzigkeit. Der Künstler
meidet absichtlich jeden ungewöhnlicheren Einfall. Er
hat sogar das in einer Skizze vorkommende Motiv,
dass eines der Schafe den Kopf auf den Rücken des
Nachbars legt, wieder fallen lassen, um durch keinen
genrehaften Zug zu amüsieren. Alle Aufmerksamkeit
soll sich auf der Hauptfigur vereinigen, daher denn
diese keinerlei gesuchte Würze braucht, um voll zu
gelten. Und dabei ist doch alle Banalität vermieden,
eine natürliche Vornehmheit ist das Gepräge des
Ganzen. Am Sockel liest man die Signatur: »Rudolphus
Marschall Vindobonensis fecit«. Diese Gruppe nun
 
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