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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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383

Bücherschau

384

Hervorhebung der Hauptmomente der Entwickelung
mangelt, kann man sich freilich nicht verhehlen. Ge-
schichte und Kunstgeschichte sind überhaupt nicht in
durchgängige Beziehung gebracht, die erstere wird viel-
mehr zuerst auf zwölf Seiten mit der Schnelligkeit des
Orientexpresszuges durchgejagt. Dann nimmt das Ganze
mehr die Form der Reisebeschreibung an, wenn auch so,
dass der Besucher in einer gewissen chronologischen und
systematischen Ordnung an die Denkmäler herantritt.
Dabei tauchen vor ihm die Erinnerungen aus Geschichte
und Lokalmythe auf. Nachrichten der byzantinischen
Historiker und europäischen Reisenden seit dem 16. Jahr-
hundert (Gyllius) werden herangezogen. Der Verfasser
legt eine staunenswerte Belesenheit in Quellenmaterial an
den Tag, und seine überaus lebendige Phantasie ruft
überall die Bilder der Vergangenheit wach, und mit Vorliebe
solche von anekdotischem Charakter, schnell hingeworfen
in einer abgerissenen und mitunter überschwenglichen
Diktion. Die flottesten Wendungen und Ausdrücke der
modernsten Gesprächsrede wechseln mit fremdsprach-
lichen (z. B. die »Religiösen« für die Geistlichen) und
selbstgeschaffenen, poetisch gefärbten oder hochtönenden
klassischen Worten. Vielleicht die Hälfte der Sätze hat
kein Prädikat. Auf eine Auslese geradezu erheitern-
der Redeblüten verzichte ich, um keine Vorurteile gegen
das Buch zu erwecken. »Flutenströmende Wolkenbeutel«
und »Dolchstoss ins Auge«, mögen als Proben ge-
nügen. Der Verfasser ist offenbar Prediger und ein ge-
sprächiger Herr, dessen Geplauder man gern zuhört. Ge-
druckt wirkt es aber doch etwas kraus. Wenn er seinen
Stil etwas mehr gezügelt und ausgefeilt hätte, könnte man
an der Frische desselben seine Freude haben, wie das in
besser geschriebenen Teilen des Buches der Fall ist. Im
besten Falle nimmt man solche Dinge als Curiosa mit, —
freilich auf Kosten des Verfassers. Denn man kann schwer
ernst bleiben, wenn nicht nur die Agia Sophia immer
wieder als »Sophie« apostrophiert wird, sondern fast jedes
einen tieferen Eindruck ausübende Denkmal, ja wenn selbst
ein Verde-antico-Sarkophag vor der Pantokrator-Kirche
befragt wird: »alter Grünstein, Du schlössest vielleicht in
Deiner Höhlung die Gebeine Manuels u. s. w.« In
der Eile schlüpft dann wohl auch in Namen und in
den zahlreichen meist unübersetzten Citaten aus jeder
Sprache mancher Lapsus durch, wie »Symplejaden«
(statt -»gaden«) oder ix ßätpQMv (statt ßa&Qüiv). Trotz
dieser kleinen Nachlässigkeiten, die nicht ungerügt bleiben
konnten, haben wir es jedoch mit einem hübschen
und sehr inhaltreichen Buche zu thun. Man wird die alt-
hergebrachten allgemeinen Urteile über die Verrottung,
Erstarrung, Heuchelei u. s. w. der Byzantiner und die
Neigung, romantisch zu färben, auch noch schadlos hin-
nehmen, man wird die Schwäche der technischen und
stilistischen Durchdringung der Denkmäler, wie die Sachen
liegen, nachsehen können. Was dem Verfasser darin ab-
geht, ersetzt er zum Teil durch ein offenes natürliches
Verständnis und durch eine sehr lebendige und im allge-
meinen sichere ästhetische Empfindung, so dass seine
Schilderung z. B. der Agia Sophia mit Genuss zu
lesen ist. Und er ist in dem Gewirr der Stadtteile und
Vororte Konstantinopels in seltener Weise zu Hause.
Auch alle die kleineren Kirchen (jetzt Moscheen) scheint
er zu kennen. Nur darf man von ihm nicht erwarten,
dass er über ihre ursprüngliche Benennung und Ge-
stalt oder gar ihre architekturgeschichtliche Stellung
sichere Auskunft zu geben weiss. Sie stehen ihm und
dem Leser immer in dem Bilde der Gegenwart vor
Augen, gesehen mit dem Blicke des Laien. Dass da-
bei auch im einzelnen mancher Irrtum und manche ge-

wagte Erklärung unterläuft, kann nicht ausbleiben. Falsch
ist z. B., um nur das Auffälligste zu vermerken und von
Zweifelhaftem abzusehen, wenn in der A. Sophia das
kaiserliche Euktirion (statt im Südschiff) da vorausgesetzt
wird, wo sich heute die Sultansloge befindet, dass in der
Apsis Christus mit ausgebreiteten Armen dargestellt sei
(es ist vielmehr die thronende Gottesmutter mit dem Kinde),
dass Theodosius den Obelisken nach Konstantinopel ge-
bracht habe (vielmehr Julian), sowie die Deutung zweier
Reliefs (wohl der Nord- und Ostseite) auf Truppenlöhnung
und Gerichtssitzung (statt Huldigung der Barbaren und
Aufrichtung des Obelisken). Auf die Beschreibung der
byzantinischen folgt diejenige der türkischen Bauten, was
den Verfasser zu einem Abstecher nach Brussa veranlasst,
wo er die ältere türkische Kunst aufsucht. Eine tiefere
Kenntnis des architektonischen Systems wird man auch
hier vergeblich suchen, es bleibt dieselbe lebhaft aus-
malende, aber einer klaren Zeichnung entbehrende Schilde-
rung. Die Stalaktiten und Minares versucht der Verfasser
gar aus der Nachahmung von Naturformen (Bienenzellen
und Schneckentürmchen) herzuleiten. In schnellem Wechsel
der Bilder durcheilen wir dann wieder am Bosporus selbst
die Jahrhunderte der türkischen Herrschaft. Mit der Schilde-
rung des modernen Konstantinopel mit seinen Sultan-
schlössern und Moscheen im Stil der sogenannten tür-
kischen Renaissance, deren sinnloses Formengemisch etwas
zu viel Gnade findet, seinen Bildungsanstalten (Museum),
seinem Bazar, Bädern und Friedhöfen mit poetischen Grab-
schriften u. s. w. führt der Verfasser die Darstellung zu
Ende. Es ist auf den zweihundert Seiten in der That das
Bild der Stadt, wie sie leibt und lebt, wie Vergangenheit
und Gegenwart sich in ihr vermischen. Alles ist darin,
wenn es auch nur einen Augenblick auftaucht wie im
Kaleidoskop. Die reichliche Illustration unterstützt die
Wirkung, nur wäre da manches Cliche etwas grösser zu
wünschen, um die Details der vortrefflichen Aufnahmen
schärfer hervortreten zu lassen. o. W.

Die Kirchenthür des hl. Ambrosius in Mailand, ein

Denkmal frühchristlicher Skulptur von Adolf Qoldschmidt.
Mit 6 Lichtdrucktafeln, Heitz in Strassburg, 1902 (3 M.).

Dass die durch die Wegweisung des Kaisers Theo-
dosius seitens des hl. Ambrosius so berühmt gewordene
Thür an St. Ambrogio in Mailand sich. erhalten habe,
melden verschiedentliche Überlieferungen. Es fehlte aber
für sie die Bestätigung, bis diese sich durch Goldschmidt's
jüngste, überaus glückliche Entdeckung ergab. Den Weg
zu ihr zeigten zwei im Kirchenarchiv aufbewahrte, ihrer
Verletzungen wegen ausrangierte Holzreliefs spätrömischer
Stilisierung, die 1750 ersetzt wurden bei der Restauration
der Hauptthür, die später durch Drahtvergitterungen
u. s. w. fast unkenntlich geworden, keine Beachtung mehr
fand. Jetzt hat der Verfasser sie einer sorgfältigen
ikonographischen, historischen, stilistischen Prüfung unter-
zogen und durch scharfsinnige Kombinationen festgestellt,
dass die Scenen dem Leben David's entnommen sind und
dessen verschiedene Siege (über die Bestien, Saul's bösen
Geist und Goliath) darstellen, dass die figuralen wie die
ornamentalen Formen auf die altchristliche Zeit hinweisen
und diese (in Verbiiidung mit der Apologie David's durch
den hl. Ambrosius) kurz vor der Einweihung der Kirche
(386) anzusetzen ist. — Die sechs scharfen Lichtdrucke
erleichtern die Begleitung des Verfassers auf dem schwierigen
Wege der Untersuchung, deren Ergebnis als zweifellos
bezeichnet werden darf, so dass diese historisch merk-
würdige Thür, welche die Thür von St. Sabina zu Rom
an Alter noch übertrifft, zugleich eine archäologische
Merkwürdigkeit ersten Ranges ist. Sth.
 
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