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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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Schleinitz, Otto von: Londoner Brief, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5810#0249

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Londoner Brief

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Landschaftsmalerei. Viele kannten in dieser Beziehung
den Meister nur nach seinen, in »Little Holland
House« befindlichen, meist nicht vollendeten und
unter ungünstigen Lichtverhältnissen hängenden Wer-
ken. Wer aber hier in »Leighton House« und in
der »New Gallery« seine Landschaften gesehen, der
wird zu einem wesentlich günstigeren Urteil für diese
Kunstgattung des Malers umgestimmt. Seine »An-
sicht von Neapel« (1887), dem Rev. Thompson Yates
gehörig, ist das vollendetste, was man von der Land-
schaftsmalerei erwarten kann.

In der »New Gallery« sind drei Landschaften
und ein allegorisches Bild »The Sower of the Systems«
von Watts ausgestellt. Das letztere stellt eine, den
Samen oder die Keime ausstreuende Figur dar, welche
das Universum bilden sollen. Nur ein Künstler aller-
ersten Ranges, wie es der Meister noch heute in
seinem 87. Jahre bleibt, konnte sich mit Erfolg an
die Bewältigung eines so schwierigen Themas heran-
wagen. Aber auch die drei Landschaften sind für
den Kenner nicht ohne Allegorie, ja, sie besitzen
sogar eine intimere Bezüglichkeit sowohl durch den
Titel, als auch dadurch, dass sie die unmittelbare
Naturumgebung des Künstlerveteranen in Surrey
schildern. Die Namen lauten: »Die beiden Wege«,
»Das Ende des Tages« und »Grüner Sommer«. Bei
den letztgenannten Arbeiten tritt die Symbolik sogar
in direkte Verbindung mit der Person des Meisters.
Das »Ende des Tages« zeigt uns in einer schön ge-
stimmten Abendlandschaft die untergehende Sonne,
eine nur zu leicht verständliche Allegorie, während
in dem »Grünen Sommer« der, mitten unter seinen
mit Laub bedeckten Gefährten, fast kahl zum Himmel
strebende mächtige, aber dem Ausgehen bereits be-
denklich nahe Baumstamm sehr deutlich besagt, was
hier gemeint sein soll. Wir haben in diesen Werken
mehr ideale Visionen und noble Phantasiegebilde vor
uns, als gerade Landschaftsbilder im wörtlichen Sinne.
In der englischen Presse wird Watts jetzt vielfach,
ebenso wie früher Gladstone, »The old grand man«
genannt.

Whistler's Porträt, angefertigt von dem in Paris
domizilierenden Italiener Boldini, kann als das eigent-
liche Jahresbild in der »New Gallery« angesehen
werden, auf welches sich das Hauptinteresse des
grossen Publikums konzentriert. Innere Erfassung,
äusserste Realistik, verbunden mit unübertroffener
Technik, haben ein so ausserordentliches Bild hervor-
gebracht, dass man dies Werk als das letzte Wort
betrachten möchte, das die moderne Kunst uns zu
sagen hat. Alles in allem besitzt das Bild einen
dämonischen Reiz. Von ferneren Gemälden erwähne
ich noch Walter Crane's bedeutendes Werk »The
Fates«, zu deutsch »Die drei Parzen«, Sir James Lin-
ton's »Madonna mit dem Kinde«, Shannon's »Baron
Meyer« und John Collier's »Mignon« nach Goethe's
»Wilhelm Meister«. Trotz der grossen Anhäufung
des vorliegenden Materials möchte ich doch nicht
unterlassen, auf drei interessante Arbeiten von Damen
hier aufmerksam zu machen. Die Prinzessin Viktoria
Augusta beschickte die »New Gallery« mit einem,

zum Gedächtnis ihres in Afrika während des Krieges
verstorbenen Bruders Christian Viktor, schön in silber-
vergoldeten und emaillierten Kreuz, das für die
Kathedrale in Prätoria bestimmt ist. Eine hübsch
modellierte Statuette der »Artemis« stammt aus dem
im St. James-Palast befindlichen Atelier der Gräfin
Feodora Gleichen, und Miss Elinor Halle, die
Schwester des Direktors, sandte eine Reihe der nach
ihren Zeichnungen angefertigten, sehr begehrten
Schmuckgegenstände.

Unter den in der Aquarellgesellschaft ausgestellten
und nach wie vor als »Drawings« bezeichneten Ge-
mälden erwähne ich als hervorragend: Sir E. Poynter's
landschaftliche Scenen, acht Arbeiten Professor von
Herkomer's, figürlichen Inhalts und »Ablieferung des
Zehnten«, ein Werk des Präsidenten der Gesellschaft.
In letzterem zeigt uns Mr. E. R. Hughes eine reizende
weibliche Figur mit einem Korb voller Äpfel.

Wie alljährlich, so findet auch diesmal zur Zeit
eine Sonderausstellung in der »Guildhall« statt. Die-
selbe gilt älteren und modernen Niederländern. Im
ganzen kann über das, was hier dem Publikum ge-
boten wird, nur Löbliches berichtet werden, wenn-
gleich es augenscheinlich ist, dass mehrere mit »Rem-
brandt« bezeichnete Werke unter falscher Flagge
segeln. Eine Ausstellung, in der Rembrandt, Frans
Hals, Cuyp, Vermeer, Terborch, Gerard Dou, Hobbema,
Ruisdael, van Huysum, van Aelst, van Os und die
modernen Meister: Joseph Israels, Jakob Maris und
Mesdag gut vertreten sind, nur erwähnen zu müssen,
erscheint bedauerlich, aber der Raumverhältnisse wegen
leider unabweisbar. Israels wurde in einer von den
Künstlergenossen ihm zu Ehren veranstalteten Feier-
lichkeit, der der Lord Mayor auch beiwohnte, be-
sonders hoch geehrt. Der Künstler hielt eine Rede, in
welcher ein Vergleich Rembrandt's mit Spinoza zum
Ausdruck gelangte.

Die Vorliebe für Miniaturen hat in dem ver-
gangenen Jahrhundert niemals ganz aufgehört, ja, die
letzten Jahre waren für diesen Kunstzweig so ver-
heissende, dass ihm die Wiederkehr des goldenen
Zeitalters bevorzustehen scheint. Für gute Porträts
von Cosway und Plimer zahlen Liebhaber auf den
Auktionen bis zu 20000 Mark. Der Präsident der
Gesellschaft der »Miniature Painters«, Sir Williarn
Richmond und Dr. G. G Williamson, der sich haupt-
sächlich durch seine Biographien über Miniaturmaler
einen bedeutenden Ruf erworben hat, sind die her-
vorragendsten Aussteller in der »Modern Gallery .
In den jüngst vergangenen Tagen errichtete Mr. Alfred
Praga in Kensington eine Schule für angehende
Künstler, welche sich dem Miniaturfach widmen
wollen.

Seitdem im November vorigen Jahres das Ver-
mächtnis Lord Cheylesmore's der Verwaltung des
British Museums ausgehändigt wurde, haben die Be-
amten der betreffenden Kupferstichabteilung die Samm-
lung geprüft und geordnet. Die Kollektion besteht
aus zwei Unterabteilungen: englische Mezzotintblätter
allgemeinen Inhalts und Porträts königlicher und fürst-
licher Persönlichkeiten in der verschiedensten Manier
 
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