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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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Wolf, August: V. internationale Kunstausstellung in Venedig
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https://doi.org/10.11588/diglit.5810#0265

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V. internationale Kunstausstellung in Venedig

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schön. Eine prächtige Haarschneidescene stellt Halmi
nus. — Das auffallendste Bild der deutschen Kunst ist
jedenfalls das oben schon genannte Liebermann's: Simson
und Delila, welches teils Bewunderung, teils Widerspruch
erregt.

Doch wenden wir uns zu den Italienern.

Eines der grössten Bilder der Ausstellung ist von
Chini: eine Menge der »Mühseligen und Beladenen«
schleppen sich zu einem von der Frühsonne beschienenen
Bergesgipfel hinan, dessen höchste Kuppe in einer Sphinx
endigt, teils betend, teils mit verzweifelten Verwünschungen.
Gegenüber Breviaü's Assunta, ebenfalls ein Riesenbild von
unerfreulichster Eintönigkeit in Rostgelb und Blau und
unbegreiflicher Parallelbewegung all der Engel, welche die
Madonna umgeben. — Veruda zeigt in zwei lebensgrossen
Porträts in ganzer Figur seine Verehrung für Liebermann.
Dali 'Ora Bianca erfreut in einer ganzen Anzahl von Ge-
mälden des verschiedensten Inhalts, durch geistreiches Ver-
werten des Erschauten, trotz seinerin bunte Fäden und Streifen
aufgelösten Malweise. Weibliche Köpfe, eine sehr leiden-
schaftliche Liebesscene im Grünen, Marktplatz und Mühlen
in seiner Vaterstadt Verona: alles gleich fesselnd und
interessant. — Unter den Piemontesen ist Grosso durch
ein sehr schönes weibliches Porträt in ganzer Figur ver-
treten und Tavernier durch ein grosses dreiteiliges Bild
allegorisch-poetischen Inhalts und eine sehr schöne Land-
schaft voller Sonne und Frische. Unter den Lombarden
ist vor allem Morbelli zu nennen mit einer Reihenfolge
von kleinen Bildern, welche er »die Poesie des Alters-
nennt: tief empfundene Scenen aus Altersversorgungs-
anstalten. Seine Technik ist eine mit unglaublicher
Geduld durchgeführte Divisionistik, welche ihm gestattet,
das einfallende Sonnenlicht so zu erreichen, wie kein anderer
vor ihm. Cairati ist mit guten Landschaften aus der Um-
gebung Ravennas vertreten, Mentessi mit schönen Zeich-
nungen, L. Rossi mit einem prächtigen Aquarellbildnis in
ganzer Figur einer Dame in schwarzer Seide, Argnani mit
einem lebensgrossen Damenporträt in Weiss, mit prächtig
beherrschter Pastelltechnik bei ebenfalls lebensgrosser Figur.
— Vom Florentiner Oelli wird das feine lebensgrosse
Porträt in ganzer Figur der Sängerin Bellincioni bewundert,
seiner vornehmen kühlen Farben halber. — Unter den
Bolognesen nehmen besonders zwei Verstorbene unsere
ganze Aufmerksamkeit in Anspruch: Serra mit Zeichnungen
zu seinen Fenstern im Stadthause zu Bologna, den nicht
zur Ausführung gekommenen für einen Saal des Senats
in Rom und die Kirche Sta. Maria della Vittoria. Man
wird nicht müde, diese Arbeiten zu bewundern und den
frühen Tod des genialen Künstlers zu beklagen. Der
zweite allzufrüh Dahingegangene ist der ModeneseyW«zz«>/V'
Seine prächtige Darstellung des Leichenbegängnisses des
Britanniens, 1888 preisgekrönt, schmückt die eine Wand
des Saales der Emilia. Weniger bedeutend ist sein be-
kanntes Bacchanal. — Dass das Beste nie veraltet, beweisen
diese der Nationalgalerie in Rom atigehörigen Werke. —
M. De Maria, seit Jahren hier lebend, aber in Bologna
geboren, brachte ein im glühendsten Kolorit leuchtendes
Bild: das Menschengeschlecht flieht in wilder Verzweiflung
vor dem mit rasender Geschwindigkeit der Erde sich
nähernden Monde! Diese Phantasie ä la Flammarion ist
in der originellsten Weise veranschaulicht. — Im Saale der
Römer nimmt wie billig Sartorio die erste Stelle ein. In
einem die ganze Rückwand bedeckenden Bilde sucht er
den erhabenen Charakter der römischen Campagna wieder-
zugeben; eine bei untergehender Sonne weidende grosse
Schafherde belebt das Ganze. Eine grosse Anzahl schönster
Zeichnungen erregen wie immer allgemeine Bewunderung.
Sein Ehrenschild für den Duca degli Abbruzzi liefert einen

neuen Beweis seiner hohen künstlerischen Bedeutung.
Es lässt sich nichts Feineres denken, als diese im Mittel-
felde nur mit Mühe von einem nackten Jüngling zu bändigen-
den schäumenden Rosse und die das Ganze umgebende
äussere Zone mit dem Porträt des Prinzen. — Auch hier
zahlreiche hervorragende Arbeiten eines Verstorbenen:
des jetzt erst zur vollen Anerkennung gekommenen Costa
(geboren 1826). Seine »Frauen an der Bucht von Anzium«
sowie seine letzte Arbeit, eine lebensgrosse nackte Wald-
nymphe, zeigen ihn auf der Höhe seines Schaffens. —
Ferner begegnen wir zahlreichen Bildern und geistreichen
kleinen Skizzen des ebenfalls verstorbenen Vanutelli. Auch
die Napolitaner glaubten zurückgreifen zu müssen auf ihre
Dahingeschiedenen. Besonderes Aufsehen erregen die
Arbeiten, Zeichnungen und Bronzen des fast zu den Toten
zu rechnenden Gemito, dessen Geist seit Jahren vom
Wahnsinn umnachtet und der wirklich Toten D. Morelli
und Gigante (1805—1876), ersterer durch Zeichnungen,
letzterer durch Aquarelle. Michctti hat uns drei kleinere
Arbeiten geschickt. Balestrieri schildert in einem grösseren
Bilde Morelli's letzte Stunden, da ihm seine Familie aus
der Bibel vorliest. — Die Venezianer machen sich auch
diesmal viel Ehre. Besonders erfreulich ist, dass G. Ciardi
trotz Annahme der modernen Technik sein Bestes nicht
verloren hat und stets Neues in Licht- und Lufteffekten
zu geben sucht. Hat er doch diesmal die Ausfahrt des
Bucintoro geschildert, ein Bild von ausserordentlichem
Glänze und Festfreudigkeit. Sein Sohn B. Ciardi erfreut
durch badende Knaben und anderes. Fragiaccomo hat in
dem von ihm dekorierten Saale eine grosse Anzahl Ge-
mälde ausgestellt, in welchen er seine vor zwei Jahren
neue Technik auf den Gipfel treibt, in Wasser- und Licht-
effekten schwelgt. Von ganz besonderem Reize ist er
jedoch in einem ganz kleinen Bildchen von 1887, welches
in seiner feinen Stimmung (Mondaufgang bei Castello)
doch alle Modernität überragt. — L. Nono hat leider nichts
Grösseres diesmal ausgestellt. Laurenti, einer der viel-
genanntesten Künstler Venedigs, hat viel Zeit verloren
durch die Einrichtung seines Saales und Zeichnung des
grossen kunstgeschichtlichen Terrakottenfrieses, so dass
wir leider von ihm nur drei Bilder sehen, in welchen er
sich uns von keiner neuen Seite zeigt. E. Tito ist eine
ganze Wand eingeräumt worden. Er brachte höchst pikante
kleinere Bilder venezianischer Eindrücke. In einem grösseren
sehen wir die Geburt der Venus, welche noch mehr als
seine anderen Sachen an gewisse Franzosen erinnert, dies-
mal der einzig neue Zug an diesem so liebenswürdigen
Venezianer. Der noch sehr junge Castagnaro ahmt Tito
mit verblüffendem Geschick nach und hat in dem lebens-
grossen Damenporträt in ganzer Figur etwas gemacht,
was ihn mit einem Schlage in die vorderste Reihe stellt.
£'. v. B/aas erfreut durch das grosse Bildnis in lebens-
grosser ganzer Figur der Contessina Papadopoli. Einer
der besonnensten tüchtigsten Maler Venedigs ist L.Selvatico.
Von grösstem Interesse ist sein Porträt der Schauspielerin
J. Gramatica, welches in seiner tiefernsten Stimmung zum
Besten der ganzen Ausstellung gehört. Talamini gab uns
eine vortreffliche Porträtskizze des bekannten Dr. Keppler.
— Millo Bartoluzzi hat einen grossen Schritt vorwärts
technisch und in der Wahl des Dargestellten gemacht.
Wir sehen von ihm ein Lagunenbild mit goldgeballten
Wolkenmassen und ein tief gestimmtes Kanalbild von
tiefglühendem, fast unheimlichem Kolorit. — Dal Bö
schildert eine Mondnacht. Scatola steuert diesmal auf
Mesdag los. Mazzetti's grosses Gemälde, eine ernste
Cypressenscenerie mit alten Sarkophagen, war zuerst ab-
gewiesen, dann in den Saal der Consolation gebracht
I worden. Dem noch jungen Künstler ist die Genugthuung
 
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