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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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Becker, F.: Die kunstgeschichtliche Ausstellung in Erfurt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5810#0277

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531

Die kunstgeschichtliche

Ausstellung in Erfurt

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unten mit der zierlich gemalten Vision oben. Von
sonstigen guten und nicht leicht erreichbaren Werken
des alten Cranach sei noch besonders aufmerksam
gemacht auf Nr. 29: ein ruhiges vornehmes Porträt
eines bejahrten Geistlichen, in der Gemäldegalerie
in Donaueschingen; auf Nr. 97: eine besonders in
der Farbe feine Madonna von 1516 in der Samm-
lung des Herrn Dr. U. Thieme in Leipzig, auf Nr.
153: Maria mit Kind in einer Landschaft, datiert 1518,
fein in Farbe und lieblich in den Figuren, aber un-
glücklicherweise in einen sehr unruhigen üppigen
Barockrahmeu gefasst, aus dem Weimarer Schloss;
Nr. 158: Maria hinter dem Betpult, vor dunklem,
von Putten gehaltenen Vorhange, vorn die adorierende
Gestalt des Stifters, von Flechsig als sicheres Werk
das alten Cranach aufgeführt, aber doch nicht un-
bedenklich wegen der ungewöhnlichen Komposition
und der in grossen Ziffern hineingemalten Datierung
1518 (Weimarer Museum); Nr. 16g: Christus am
Kreuz zwischen den Schächern, darunter Kurfürst
Johann Friedrich von Sachsen auf einem Schimmel,
fein ausgeführtes Bild von 1538, im Besitze des
Grafen Wilczek in Wien. Von Lukas Cranach dem
jüngeren sieht man hier unter anderen das auffallend
feine Doppelporträt der Fürsten Georg III. und
Joachim Ernst von Anhalt in Aquarellmalerei, mit
Schlangenzeichen und 1553. Es ist von unberührter
Frische, da es erst 1820 im Turmknopfe der Schloss-
kirche zu Dresden aufgefunden wurde. Von be-
rühmten Zeitgenossen Cranach's findet man von
Wohlgemut eine farbig sehr kraftvolle, aber in den
Gesten und Verkürzungen utrierte Himmelfahrt Christi
(Nr. 185, Wörlitz), ferner die berühmte Predella mit
der Beweinung Christi von M. Grünewald (Nr. 7,
Aschaffenburg) und drei dem Amberger zugeschrie-
bene Männerporträts (27, 188, 189). Unter den
anonymen zeitgenössischen Bildern verdienen die
Nummern 17 und 190 wegen ihrer hervorragenden
Qualität besondere Erwähnung, obwohl sie eigentlich
beide mit der sächsisch-thüringischen Malerei nicht
das geringste gemein haben. Das erstgenannte ist
eine Anbetung der Könige und zugleich der Hirten,
ein Breitbild mittlerer Grösse in der Art des Meisters
vom Tode Mariä, von ungewöhnlich kräftigem Ko-
lorit, mit zum Teil hässlichen, knifflichen Typen, aber
mit einem ungewöhnlichen Aufwand von Pracht und
Reichtum in den Kostümen, von meisterhafter Sicher-
heit in der Komposition und Perspektive. Der Stifter,
ein weisshaariger, korpulenter Herr, sitzt auf einem
reichgeschnitzten Sessel hinter der Madonna im Mittel-
grunde und schaut vornehm ernst von der Lektüre
eines Pergamentdokumentes auf nach dem heiligen
Vorgange. Das beachtenswerte Bild gehört Herrn Prof.
Voss, der auch noch einige andere qualitätvolle Ge-
mälde niederländischer Art ausgestellt hat. Die schon
erwähnte Nr. 190 ist das feinste Porträt der Aus-
stellung überhaupt. Es gehört zu den fünfzehn inter-
essanten Gemälden aus dem gotischen Hause in
Wörlitz, und stellt einen jungen bartlosen Mann mit
niederländischer Kappe dar. Aus dem jetzt wohl
übermalten oder nachgedunkelten Grunde hebt sich

das scharfgeschnittene ernste Gesicht in feiner Mo-
dellierung höchst wirkungsvoll und in sprechender
Natürlichkeit hervor. Man hat das Bild früher dem
Holbein und dem Jakob Walch zugeteilt; die letztere
Zuweisung berührt ungefähr den Kreis, in dem man
den Autor zu suchen hat, nämlich in der Nähe von
Lukas van Leyden. — Unter den älteren Malereien
sei hier nur auf die beiden Doppelflügel aus dem
Domkapitel zu Brandenburg a. H. (Nr. 23) hinge-
wiesen, für deren Bekanntmachung der Ausstellungs-
leitung besonderer Dank gebührt, da diese Stücke
von nun an für die Geschichte der frühen deutschen
Tafelmalerei als wertvolle Dokumente Geltung haben
werden. Diese Flügel, je eine lange und eine kurze
Tafel von Tannenholz, tragen auf starkem Goldgrunde
sechs Darstellungen in Tempera nebeneinander und
zwar die Hinrichtung eines Heiligen, Sauli Bekehrung,
Taufe eines bärtigen Mannes durch einen Diakonen,
Predigt Johannis, Christus auf dem Meere und Petri
Befreiung. Die Naivetät und drastische Lebendigkeit
der wenigen handelnden Personen, die vortreffliche
Temperatechnik, die in Perspektive und Proportionen
sehr schwache Zimmermannsarchitektur erinnern un-
mittelbar an giotteske Malereien und lassen vermuten,
dass der Maler Technik und Anschauungen in Italien
acquiriert hat. Jedenfalls gehören diese Malereien,
die an sich wohl erhalten, aber von Bubenhänden
schon im 18. Jahrhundert verkritzelt sind, in die
ersten Jahrzehnte des 14. Jahrhunderts und bieten zu
den bekannten Tafeln aus der Wiesenkirche in Soest
aus dem 13. Jahrhundert die entsprechenden Stücke
aus einer siebzig bis hundert Jahre späteren Ent-
wickelung.

Die zweite Abteilung umfasst Miniaturen, Hand-
zeichnungen, Wand- und Glasmalereien und enthält
als kostbaren Mittelpunkt ausgewählte Denkmäler der
thüringischen, sächsischen und fränkischen Buchmalerei
des 12. und 13. Jahrhunderts. Das durch seinen
Einband hervorragende Prachtstück unter diesen vielen
kostbaren Werken ist die Evangelienhandschrift Gode-
hard's aus Hildesheim, jetzt dem Domschatz zu Trier
gehörend, aus der Mitte des 12. Jahrhunderts. Der
Deckel hat als Mittelstück eine schöne Emailplatte
mit den übereinanderliegenden Darstellungen des
Noli me tangere, der Kreuzigung und den drei
Marien am Grabe. In den Ecken des mit Gemmen
und Edelsteinen besetzten Randes sitzen vier Evan-
gelistensymbole aus Elfenbein, in der Mitte oben das
Brustbild der Madonna, unten das Brustbild eines
Bischofs, in der Mitte links und rechts die allego-
rischen Frauengestalten des Ecclesia und der Synagoge,
alle vier im Hochrelief meisterhaft in Elfenbein ge-
schnitten.

Einen Glanzpunkt der Ausstellung bildet die
dritte Abteilung mit Skulpturen in Holz, Stein und
Metall und besonders die stattliche Reihe von Schnitz-
altären, die sich in abgelegenen Dorfkirchen des
Thüringer Waldes in unberührter Pracht erhalten
haben und noch besonderes kunstgeschichtliches Inter-
esse dadurch gewinnen, dass sie zum Teil den Ur-
sprungsort Saalfeld (südöstlich von Erfurt) und Datierung
 
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