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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Editor]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 58.1923 (April-Septembert)

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Nr. 30
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Literatur / [Notizen] / Kunstmarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.39788#0086

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584

Literatur

venienz allzufehr zurücktreten. Reichen
Anregungen, namentlich durch den Ver*
gleich zwifchen Weltrom und Oltrom fteht
die Gefahr einer allzu fumtnarifchen Kate*
gorifierung gegenüber, die nicht immer ver*
mieden wird.
Ein gleiches gilt für die Analyfe der
frühchriltlichen, romanifchen und gotifchen
Epoche. Hier ilt die Fülle der Literatur
anders ausgedrückt, der fixierte Nieder*
fchlag völlig konträrer Ausdeutungen eine
fo eminente, daß eine eingehende Ana*
lyfe des von Fediter gegebenen, der Stützen
feiner Hypothefen und was z. T. dem zu
entgegnen wäre, im Rahmen einer kurzen
Befprechung zu weit führen würde. Es
genügt hervorzuheben, daß er die neuer*
dings beliebte, durch Worringer angeregte
unfdiarfe Erweiterung des Begriffs der
Gotik zum Gefamtkomplex eigentlich aller
jener Ausdruckskunlt, die nicht dem an*
tiken mittelländifchen älthetifchen Verhal*
ten entfpricht, nicht mitmacht. Er bemüht
fich, die einzelnen Etappen der Entwicklung
genau zu definieren.
Den dem Mittelalter gewidmeten Ka*
piteln gegenüber wird die Renaiffance »die
Gegenbewegung des Südens« etwas futn*
marifch behandelt. Erft der »Epilog des
Barock« wird wieder vielfältiger und reidier
ausgedeutet. Doch wie viele kluge Worte
auch im einzelnen über den ftimmungs*
mäßigen Gehalt der Barockgeltaltungen
gefagt werden mögen, Fechter irrt unbe*
dingt, wenn er in ihm fchon ein Erfterben
der architektonifchen Geftaltungskraft, ver*
drängt durch die rein malerifche, lieht.
Das ilt entweder ein Spiel mit Worten
Wölfflinfcher Prägung, aber weit über ihren
LIrfprungswert hinaus — oder ein grund*
legender Irrtum. Die Vorausfetzung für
fakrale Architektur ilt durch den Indivi*
dualismus nicht vernichtet, wie er meint,
fondern nur verändert und ebenfowenig
lieht der Barock dem Raum »objektiv«
gegenüber. Auch hier ilt die Phantafie des
Geftaltenden noch immer architektonifch,
fogar tektonifch. Diefe neue Tektonik fleht
Fechter nicht, befangen durch feine zu enge
Definition vom Wefen der Architektur
fchlechthin.
Doch foll hier weder eine Inhaltsangabe
des Werkes gegeben, noch die abweichende

Meinung des Referenten zu einzelnen Fra*
gen detailliert werden,- wefentlicher erfcheint
es darauf hinzuweifen, daß hier über ein
fcheinbar abfiraktes fernliegendes Thema
temperamentvoIlTuggeltivgefchriebenwird,
ohne daß deshalb die Grenze des hiliorifch*
wiflenfchaftlich Gefieberten überfdhritten
wird und die Darftellung in literarifchen
»Stimmungs«=Feuilletonismus übergleitet.
Gegenüber dem platten Rationalismus
der heutigen volkstümlichen Architektur*
Älthetik und deren Jonglierungen mit
»Zwedcbegriff«, »Werkform und Mate*
rialgerechtheit«, kann jedes Buch, das die
eigentlichen künftlerifchen Probleme der
Architektur weiteren Kreifen zugänglich
macht, nicht genügend propagiert werden.
PauC Zucäer
. *
Gustave Coqu iot, Toulouse = Lau*
trec. Berlin, Ernlt Wasmuth.
Ein Buch über Toulouse=Lautrec, das
muß zugleich eine Gefchichte von Mont*
martre fein, das Hohelied von der Place
Blanche und dem Moulin Rouge zur Zeit
ihrer Blüte im fin de siede, im letzten
Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts. Es muß
von der Gaulue und der Jane Avril und
der May Beifort zu berichten willen, die
der Stift des Zeichners unfierblich gemacht
hat, vom Cirque Fernando, der heut
Medrano heißt, von der Bar Achille und
den geheimenHäufern derRuedesMoulins.
Das Buch mußte einer fchreiben, der gleich
Toulouse*Lautrec an diefen Orten das
Leben mit vollen Zügen genoffen hat,
der die Modelle kannte, die den Zeichner
zu feinen Werken begeilterten, in dem
felblt etwas von der Erregung jener Epoche
nachzittert. So ilt das Buch von Coquiot
entltanden, nicht als kalte Analyfe eines
artiftifdien Problems, fondern als ein Stück
zeitgenöffifcher Sittengefchichte, als der Ro-
man eines kurzen Künftlerlebens, die Ge*
fchichte eines genialifchen Menfchen, deflen
Flamme mit dreifacher Glut in wenigen
Jahren fich rafch verzehrte. Es ilt in diefem
Buche nicht eigentlich viel von Kunft die
Rede, wie auch für Lautrec das Künlt*
lerifche fich von felblt verltanden haben
mag. Es ilt von Frauen die Rede und
von Pferden, von Radfahrern und von
Hunden, von Bargetränken und von
 
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