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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Editor]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 58.1923 (April-Septembert)

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Nr. 49/50
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Wölfflin, Heinrich: Goethes italienische Reise und der Begriff der Klassischen Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.39788#0321

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KUNSTCHRONIK UND KUNSTMARKT
VERANTWORTLICHE REDAKTION
ALFRED KUHN
NR. 49/50 5./19. OKTOBER 1923

Einfendungsltelle für alle Manufkripte, außer Österreich und München: Dr.Alfred Kuhn,
Berlin-Friedenau,Fregeßr. 26, Tel.:Rheingau 170 • Für Ölt er reich: Wiener Redaktion, Prof.
Dr. H. Tietze,WienXIX, Armbrult ergaffe 20* FürMünchen: Münchener Redaktion, Dr. Hans
Rupe', Münch en, Widenmay erltr. 39III • Verlag von E. A. Seemann, Leipzig, Hofpitalltr. 11a

GOETHES ITALIENISCHE REISE
UND DER BEGRIFF DER KLASSISCHEN KUNST
VON HEINRICH WÖLFFLIN
ES konnte Vorkommen, daß Jacob Burdchardt auf die Frage, was er als
beites Buch über Italien empfehle, kurzweg mit dem Hinweis auf Goethes
italienifche Reife antwortete. Wir Heutigen verliehen diefes Urteil kaum mehr.
Man ilt fo eifrig bemüht, Goethe vorzuhalten, was er in Italien nicht ge-
fehen hat, daß man darüber das Pofitive feiner Äußerungen falt vergißt.
Alles was er über Kunlt fonlt noch vorbringt, fcheint belanglos, wo er an
Giotto und Donatello, an S. Marco von Venedig und an den altdhriltlichen
Bafiliken Roms achtlos vorbeigegangen ilt und in Palermo zwar über die
Narrheiten des Prinzen Pallagonia feitenlang berichtet, aber für die Capelia
Palatina und Monreale kein Wort übrig hat. Der ganze Afpekt Italiens hat
fich für uns verändert. Wir fuchen anderes als Goethe, und das, was er
fuchte, fehen wir mit anderen Augen. Einen extremen Ausdruck hat diefe
Umltellung des Urteils in Schefflers Italienbuch gefunden.
Und doch — wenn Burdchardt noch fidi in Goethe beitätigt fand, fo
beweilt das zum mindelten, daß das Interelfe von Goethes Kunltkritik über
feine Generation hinausreicht. Sie vertritt einen viel allgemeineren Typus:
in einer befonderen Modifikation ilt es der klaffilche Geilt überhaupt und
darin liegt für uns das Bleibend=Lebendige des Buches.
Diefer klaffifche Kunltgeilt bei Goethe läßt fidi etwa folgendermaßen
befchreiben:
1. Grundlage ilt die Stimmung unbedingter Sachlichkeit, der Wille, die
Dinge rein und vollkommen darzultellen, wie fie ihrer Natur nach find, ohne
irgendwelche malerifche Aufmachung oder fentimentalifche Alfoziationen. »Ich
fehe nur noch die Sachen und nicht wie fonlt bei und mit den Sachen, was
nicht da ilt.« Er benützt den geologifchen Blick, um bei einer hiftorifchen
Landfchaft die »Einbildungskraft und Empfindung zu unterdrüdcen«. In der
Wirklichkeit Heckt die ganze Poefie, man muß fie nur rein und innig auE
zufalfen willen. So kommt ihm jetzt Homer ganz unglaublich »natürlich« vor
und gar nicht »poetifch«, d. h. willkürlich: es ilt nur die Vollkommenheit der
 
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