Literatur
627
LITERATUR
A. E. Popp, Die Medici »Kapelle
Michelangelos. O. C. Recht, Verlag,
München 1922.
Der Inhalt des Buches ilt feiner koltbaren
Ausltatlung ebenbürtig. Die Verfafferin
bietet mit ihren eindringend fundierten
Studien und Hypotheken die wertvollfte
Bereicherung der Michelangelo * Literatur,
feitdem Thodes wichtige, wenn auch oft
nicht der weiteren Forfchung Handhabende
Kritifche Unterfuchungen 1908—13 er»
fchienen find. Der Stoff iff fo gedrängt und
— um mit der Verfafferin zu fprechen —
fugenhaft gefaßt, daß eine leider kurz zu
haltende Anzeige nur das Wichtigfte her»
vorheben kann.
Ausgang der kritifchen Unterfuchung
bildet der Bau der Cappella, ähnlich und
doch in ihrer endgültigen Geftaltung nicht
ähnlich dem fymmetrifch angeordneten
BruneIlesco»Bau. In die rekonftruierten
Wandfchemata der verfchiedenen Stadien
werden die vorhandenen Entwürfe einge»
zeichnet und damit chronologifch geordnet.
Nach P. fpielt fich diefe ganze Entwurfs»
arbeit in nicht ganz einem Halbjahr ab <?),
von Spätherbft 1520 bis Februar 1521,
während andre Forfcher — die Kritik be»
zieht fich in der Hauptfache auf v. Gey»
müller, Jufti, Frey, Burger, Thode, Stein»
mann und die Notizen, die ich in meiner
»Barockfkulptur« gab — eine größere Zeit»
fpanne für die Entwicklung annahmen.
Sehr viel länger geffaltete Michelangelo
an den Skulpturen. Mit den Refultaten
der Verfafferin wird fich die Kritik noch
eingehend auseinanderzufetzen haben,- ge»
nug, daß felblt dort, wo häufig eine mutige
Hypothefe den vollkommenen Beweis er»
fetzt, P. den Lefer zum Bekenntnis nötigt:
fo könnte es gewefen fein. Schöpferifches
Erleben des GeffaltungsVorganges aber ilt
wohl das hödifte Lob, das man einer
kunftgefchichtlichen Arbeit gegenüber aus»
fprechen kann. Die Reihenfolge der Inan»
griffnahme der Skulpturen ilt nach P. diefe:
1521 Aurora, 1524/25 Lorenzo, Cre»
puscolo, 1525/26 Notte, Giorno, Ma»
donna, nach dem September 1531 Giuliano.
Seit 1524 befchäftigten in vielfachen Re»
daktionen die Flußgötter den Meilter. Zwei
weitere Skulpturen bringt P. in Verbin»
düng mit der Cappella,- um 1524 den
Kauernden Knaben in Petersburg — ich
wies darauf hin, daß er aus einem für
die Cappella beftimmten Block gearbeitet
fein könnte und ähnliche Motive vorge»
fehen waren, glaubte ihn aber fpäter an»
fetzen zu müffen — und den Marmor»
david, der bis jetzt als der des Baccio
Valori gilt. Obgleich Vafari den für diefen
Florentiner gearbeiteten »Apoll« als aus
Marmor bezeichnet, glaubt P. denfelben in
der Apollbronze des Louvre erkennen zu
dürfen, die zuerff Six für Michelangelo
in Anfpruch nahm. Eine Zuweifung, mit
der fich nicht viele befreundet haben. Gern
wird P. Zufiimmung finden zu ihrer Thefe
der von Michelangelo geplanten Lünetten»
malereien: über dem Mittelgrabmal die
Auferltehung Chrilti (British Museum),
über den Seitengrabmalen die Flucht vor
den Schlangen und die Aufrichtung der
ehernen Schlange.
Kaum waren die Arbeiten begonnen,
als fie von 1521—23 und dann wieder
1527—30 ins Stocken gerieten. Diefe Ge»
Italtungsabfchnitte werden für Michelan»
gelo, den trasmutabile per tutte guise,
tragifch begründete Wandlung feiner Form,
qualvoll, da die Fixierung von 1521 die
künltlerifche Bewegungsfreiheit hemmte.
Die Kompofitionsideen der erffen Zeit,
Addition von Vielheiten, faßt P. unter
den Begriff der Konfonanz. Seit 1524 wird
dann für die Seitengräber ein andres Prin»
zip gewählt, daß P. als Konfonanz be»
zeichnet, das heißt eine in lieh gebundene
Einheit und Erfetzen des Statifchen durch
das Dynamilche. Nach 1530 ilt auch dies
Geftaltungsprinzip überwunden, die Vor»
bereitungen zur Kompofition des Jünglten
Gerichts befchäftigen ihn — und damit
wird ihm die Arbeit in der Cappella, das
Vollenden des in überwundener Epoche Be-
gonnenen, zur widerfinnigen Qual. Noch»
mals fei diefen Ausführungen der Ver»
falferin gegenüber das Wort vom fchöpfe»
rifchen Erleben eines Geltaltungsvorgang
wiederholt. Da Kunltwiffenfchaft nicht nur
Aufreihung von Tatfachenbeltänden ilt,
fondern Erkenntnis und Bekenntnis des
Geiltigen, hier Werte liegen, die fich durch
diefe oder jene unterfchiedliche kritifche
627
LITERATUR
A. E. Popp, Die Medici »Kapelle
Michelangelos. O. C. Recht, Verlag,
München 1922.
Der Inhalt des Buches ilt feiner koltbaren
Ausltatlung ebenbürtig. Die Verfafferin
bietet mit ihren eindringend fundierten
Studien und Hypotheken die wertvollfte
Bereicherung der Michelangelo * Literatur,
feitdem Thodes wichtige, wenn auch oft
nicht der weiteren Forfchung Handhabende
Kritifche Unterfuchungen 1908—13 er»
fchienen find. Der Stoff iff fo gedrängt und
— um mit der Verfafferin zu fprechen —
fugenhaft gefaßt, daß eine leider kurz zu
haltende Anzeige nur das Wichtigfte her»
vorheben kann.
Ausgang der kritifchen Unterfuchung
bildet der Bau der Cappella, ähnlich und
doch in ihrer endgültigen Geftaltung nicht
ähnlich dem fymmetrifch angeordneten
BruneIlesco»Bau. In die rekonftruierten
Wandfchemata der verfchiedenen Stadien
werden die vorhandenen Entwürfe einge»
zeichnet und damit chronologifch geordnet.
Nach P. fpielt fich diefe ganze Entwurfs»
arbeit in nicht ganz einem Halbjahr ab <?),
von Spätherbft 1520 bis Februar 1521,
während andre Forfcher — die Kritik be»
zieht fich in der Hauptfache auf v. Gey»
müller, Jufti, Frey, Burger, Thode, Stein»
mann und die Notizen, die ich in meiner
»Barockfkulptur« gab — eine größere Zeit»
fpanne für die Entwicklung annahmen.
Sehr viel länger geffaltete Michelangelo
an den Skulpturen. Mit den Refultaten
der Verfafferin wird fich die Kritik noch
eingehend auseinanderzufetzen haben,- ge»
nug, daß felblt dort, wo häufig eine mutige
Hypothefe den vollkommenen Beweis er»
fetzt, P. den Lefer zum Bekenntnis nötigt:
fo könnte es gewefen fein. Schöpferifches
Erleben des GeffaltungsVorganges aber ilt
wohl das hödifte Lob, das man einer
kunftgefchichtlichen Arbeit gegenüber aus»
fprechen kann. Die Reihenfolge der Inan»
griffnahme der Skulpturen ilt nach P. diefe:
1521 Aurora, 1524/25 Lorenzo, Cre»
puscolo, 1525/26 Notte, Giorno, Ma»
donna, nach dem September 1531 Giuliano.
Seit 1524 befchäftigten in vielfachen Re»
daktionen die Flußgötter den Meilter. Zwei
weitere Skulpturen bringt P. in Verbin»
düng mit der Cappella,- um 1524 den
Kauernden Knaben in Petersburg — ich
wies darauf hin, daß er aus einem für
die Cappella beftimmten Block gearbeitet
fein könnte und ähnliche Motive vorge»
fehen waren, glaubte ihn aber fpäter an»
fetzen zu müffen — und den Marmor»
david, der bis jetzt als der des Baccio
Valori gilt. Obgleich Vafari den für diefen
Florentiner gearbeiteten »Apoll« als aus
Marmor bezeichnet, glaubt P. denfelben in
der Apollbronze des Louvre erkennen zu
dürfen, die zuerff Six für Michelangelo
in Anfpruch nahm. Eine Zuweifung, mit
der fich nicht viele befreundet haben. Gern
wird P. Zufiimmung finden zu ihrer Thefe
der von Michelangelo geplanten Lünetten»
malereien: über dem Mittelgrabmal die
Auferltehung Chrilti (British Museum),
über den Seitengrabmalen die Flucht vor
den Schlangen und die Aufrichtung der
ehernen Schlange.
Kaum waren die Arbeiten begonnen,
als fie von 1521—23 und dann wieder
1527—30 ins Stocken gerieten. Diefe Ge»
Italtungsabfchnitte werden für Michelan»
gelo, den trasmutabile per tutte guise,
tragifch begründete Wandlung feiner Form,
qualvoll, da die Fixierung von 1521 die
künltlerifche Bewegungsfreiheit hemmte.
Die Kompofitionsideen der erffen Zeit,
Addition von Vielheiten, faßt P. unter
den Begriff der Konfonanz. Seit 1524 wird
dann für die Seitengräber ein andres Prin»
zip gewählt, daß P. als Konfonanz be»
zeichnet, das heißt eine in lieh gebundene
Einheit und Erfetzen des Statifchen durch
das Dynamilche. Nach 1530 ilt auch dies
Geftaltungsprinzip überwunden, die Vor»
bereitungen zur Kompofition des Jünglten
Gerichts befchäftigen ihn — und damit
wird ihm die Arbeit in der Cappella, das
Vollenden des in überwundener Epoche Be-
gonnenen, zur widerfinnigen Qual. Noch»
mals fei diefen Ausführungen der Ver»
falferin gegenüber das Wort vom fchöpfe»
rifchen Erleben eines Geltaltungsvorgang
wiederholt. Da Kunltwiffenfchaft nicht nur
Aufreihung von Tatfachenbeltänden ilt,
fondern Erkenntnis und Bekenntnis des
Geiltigen, hier Werte liegen, die fich durch
diefe oder jene unterfchiedliche kritifche