KUNSTCHRONIK UND KUNSTMARKT
VERANTWORTLICHE REDAKTION
ALFRED KUHN
NR. 33/34 18./Z5. MAI 1923
Ein fendungsltelle für alle Manufkripte, außer Österreich und München: Dr.Alfred Kuhn,
Berlin-Friedenau,Fregeftr. 26, Tel.: Rheingau 170 • Für Ölterreich: Wiener Redaktion,Prof.
Dr. H. Tietze, Wien XIX, ArmbruItergaffe20*FürMünchen: Münchener Redaktion, Dr. Hans
Rupe',München, Widenmayerltr. 39III • Verlag von E. A. Seemann, Leipzig, Hofpitalltr. 11a
PIETRO PERUGINO
ZUR VIERHUNDERTSTEN WIEDERKEHR SEINES TODESTAGES
IM FRÜHJAHR 1523
VON OSKAR FISCHEL
PERUGINOS Leben bietet den feltenen Reiz einer folgerichtigen Entwich»
lang, an der alle Elemente, die den großen Menfchen zu bilden pflegen,
Geburt, Ralfe, Klima, Erlebnifle aus Zeit und Arbeit ihren vollen Anteil haben.
Es liegt im Schickfal diefer bedeutenden Geifter, daß der Kampf ihres Lebens
mit dem Tode nicht aufhört, und daß Anfechtungen und Verkennungen,
durch die fie hindurch mußten, auch im Urteil der Nachwelt fich gleichfam
periodifch erneuern, als Tollte an ihren Gedenktagen ihr Anfpruch auf Feier
und Ruhm durch jene feltene Energie des Geiftes, die über Jahrhunderte
wirkt, und ohne immer hervorzutreten, gleichfam auf Empfänglichkeit zu
warten fcheint, jedesmal neu erwiefen werden. »Fortuna lächelt und dreht
ihr Rad.« Das hat zu dem finnreichen Paradoxon geführt: es würden immer
die Antiken ausgegraben, die gerade modern find, Zur Probe auf das Recht,
wieder ausgegraben zu werden, mag diefe vierhundertfte Wiederkehr feines
Todestages Anlaß geben. Der Antrag auf Revifion des Urteils über ihn ift
längft fällig.
Denn bewundert viel und viel gefcholten fleht Peruginos Bild in der Ge»
fchichte. Lange fchien der alternde Lehrer des jungen Raffael nur gut genug,
um an feinem Zurückbleiben die Schwungkraft des auffteigenden Genius zu
meflen. Dann hat man ihn, den Schüler des Piero della Francesca, als fon»
nigen Maler entdeckt, und fand überrafcht genug, daß diefer Manierift feiner
felbft eine Zeit gehabt, da er zu den vermeintlichen Impreffioniften des Quattro»
cento zählte. Das konnte die Äfthetik der letzten dreißig Jahre beinah mit
ihm verföhnen, hätte man nur mehr Werke diefes Stils befeflen, Aber
Perugino war für die Kunflgefchichte dem Schickfal Cranachs verfallen. Er
hatte fich nur mit Werken feiner fpäteren Zeit vor die Nachwelt zu ftellen.
Die Zeugnifle feiner jugendlichen Kraft und feiner frühen Bedeutung bei den
Zeitgenoflen waren verloren oder ließen fich nur ahnen und mühfam rekon»
firuieren. So fand man einen alternden, fanft temperierten und abwärts»
VERANTWORTLICHE REDAKTION
ALFRED KUHN
NR. 33/34 18./Z5. MAI 1923
Ein fendungsltelle für alle Manufkripte, außer Österreich und München: Dr.Alfred Kuhn,
Berlin-Friedenau,Fregeftr. 26, Tel.: Rheingau 170 • Für Ölterreich: Wiener Redaktion,Prof.
Dr. H. Tietze, Wien XIX, ArmbruItergaffe20*FürMünchen: Münchener Redaktion, Dr. Hans
Rupe',München, Widenmayerltr. 39III • Verlag von E. A. Seemann, Leipzig, Hofpitalltr. 11a
PIETRO PERUGINO
ZUR VIERHUNDERTSTEN WIEDERKEHR SEINES TODESTAGES
IM FRÜHJAHR 1523
VON OSKAR FISCHEL
PERUGINOS Leben bietet den feltenen Reiz einer folgerichtigen Entwich»
lang, an der alle Elemente, die den großen Menfchen zu bilden pflegen,
Geburt, Ralfe, Klima, Erlebnifle aus Zeit und Arbeit ihren vollen Anteil haben.
Es liegt im Schickfal diefer bedeutenden Geifter, daß der Kampf ihres Lebens
mit dem Tode nicht aufhört, und daß Anfechtungen und Verkennungen,
durch die fie hindurch mußten, auch im Urteil der Nachwelt fich gleichfam
periodifch erneuern, als Tollte an ihren Gedenktagen ihr Anfpruch auf Feier
und Ruhm durch jene feltene Energie des Geiftes, die über Jahrhunderte
wirkt, und ohne immer hervorzutreten, gleichfam auf Empfänglichkeit zu
warten fcheint, jedesmal neu erwiefen werden. »Fortuna lächelt und dreht
ihr Rad.« Das hat zu dem finnreichen Paradoxon geführt: es würden immer
die Antiken ausgegraben, die gerade modern find, Zur Probe auf das Recht,
wieder ausgegraben zu werden, mag diefe vierhundertfte Wiederkehr feines
Todestages Anlaß geben. Der Antrag auf Revifion des Urteils über ihn ift
längft fällig.
Denn bewundert viel und viel gefcholten fleht Peruginos Bild in der Ge»
fchichte. Lange fchien der alternde Lehrer des jungen Raffael nur gut genug,
um an feinem Zurückbleiben die Schwungkraft des auffteigenden Genius zu
meflen. Dann hat man ihn, den Schüler des Piero della Francesca, als fon»
nigen Maler entdeckt, und fand überrafcht genug, daß diefer Manierift feiner
felbft eine Zeit gehabt, da er zu den vermeintlichen Impreffioniften des Quattro»
cento zählte. Das konnte die Äfthetik der letzten dreißig Jahre beinah mit
ihm verföhnen, hätte man nur mehr Werke diefes Stils befeflen, Aber
Perugino war für die Kunflgefchichte dem Schickfal Cranachs verfallen. Er
hatte fich nur mit Werken feiner fpäteren Zeit vor die Nachwelt zu ftellen.
Die Zeugnifle feiner jugendlichen Kraft und feiner frühen Bedeutung bei den
Zeitgenoflen waren verloren oder ließen fich nur ahnen und mühfam rekon»
firuieren. So fand man einen alternden, fanft temperierten und abwärts»