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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Hrsg.]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 58.1923 (April-Septembert)

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Nr. 47/48
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Waetzoldt, Wilhelm: Carl Justis Werke in neuen Auflagen
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https://doi.org/10.11588/diglit.39788#0287

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Carl Juftis Werke in neuen Auflagen

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nicht erwerben, fie ilt Gnade. Vom Kulturgefdhiditsfdhreiber, vom Meilter
der Gelehrtengefchichte, als den er fidi im Winckelmann erwiesen hatte, und
vom Kunltgefchichtsfchreiber, zu den ihn die Velasquezltudien hatten werden
lallen, ilt Julti in den Michelangelo=Beiträgen zum Pfychologen geworden.
Es ilt fein letztes großes und fein methodifch modernltes Werk, fchon ein
Produkt des analyfierenden, feelenzergliedernden 20. Jahrhunderts.
Gelegentlich der Befchreibung und Erklärung der Denkmäler von S. Lo-
renz fchreibt Julti, jemand habe gefagt: der Menfdh lebe oder foilte leben zu-
erlt mit den Toten, dann mit den Lebenden, zuletzt mit fich. Sein WinckeL
mann war ein Denkmal der Vergangenheit, den Kindheitstagen einer Wiflen-
fchaft und ihrem Gründer errichtet, der Velasquez war ein Gefchenk intuL
tiven Vorausahnens der künltlerifchen Strömungen an die Gegenwart, an die
Künltler der Zeit, im Michelangelo lebt Julti mit fich felblt, dies Werk zieht
die Summe feiner eigenen Exiltenz. Der alte Mann, gefüllt mit Willen, das
Weisheit geworden, geprüft und geläutert in Qualen geiltiger Produktion,
leidvolLglücklich in den Wundern der Konzeption und der Stoffgeftaltung,
erhob das Problem der Genialität zur Kernfrage feiner finkenden Tage.
Vereinfamung, Menfchenverachtung, Selbltfucht und Selbltzweifel, Entrücktheit,
Erfchlafftfein, Verzehrtwerden von den Flammen fchöpferifcher Einfälle — ihm,
dem Gelehrten, waren diefe Michelangelo=Schickfale doch auch vertraut! Das
Buch, das diefem Künltler geweiht ilt, führt von allen Werken Juftis am
meiften in die Tiefe, über das Sichtbare, Darftellbare, Denkbare, diefe Gründe
ftoffe der vorangegangenen großen Monographien, leitet es hinüber in das
Reich des Unfidhtbaren, Niedarltellbaren, in das »Labyrinth der Brult«, an die
Quellen der fchöpferifchen Ströme im Innern eines großen Menfchen.
Der erlte der beiden Midhelangelo^Bände ilt als eine biographifch=kritifche
Trilogie aufgebaut. Die drei Teile: das Gewölbe der Sixtinifihen Kapelle,
die Tragödie des Grabmals und der Ablchnitt: bildnerifche Gepflogenheiten
verhalten fich nach Juftis Worten zueinander wie Geilt zu Schidcfal zu Ma-
terie. Als eine große geiltesgefchichtliche Trilogie faßten wir die Hauptwerke
Juftis zur Einheit zufammen. Das 'erfte Buch, vor dem Hintergründe des
18. Jahrhunderts, enthält am meiften Wiflensftoff, es ilt das Werk eines un-
ermüdlichen Lefers. Das zweite Werk, — im 17. Jahrhundert lpielend —
handelt am meilten von Kunft: es ilt das Bekenntnis eines Sehendgewordenen.
Das dritte Buch — dem Genie des 16. Jahrhunderts gewidmet — birgt am
meiften Weisheit, es die Gabe eines nach Innen Blidcenden, aus dem Inneriten
Schöpfenden. Der Windcelmann ilt das Buch des Denkers, der Velasquez
das Buch des Beobachters, der Michelangelo das Buch des Dichters Jufti.
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Nr. 47/48. 7./21.1X. 23.
 
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