Goethes italienifche Reife und der Begriff der klaffifdien Kunft 819
er damit zunächlt die befonderen Bedingungen der Darltellung, und diefe hielt
er, fobald fie klar formuliert find, für lehrbar. Es ilt ein Kennzeichen aller
klaffifdhen Kunlt, daß fie von einer wilfenfchaftlichen Theorie begleitet wird.
Darum ilt es nicht auffällig, wenn auch der klaffifche Goethe aus Italien
fchreibt: Es ilt weit mehr Pofitives d. h. Lehrbares und Überlieferbares in der
Kunlt als man glaubt.
5. Der große Gedanke der Pflanzenmetamorphofe, der fchon beim Ein-
tritt in Italien Goethe als Ahnung aufgegangen war, um dann in Sizilien
deutliche Geltalt zu gewinnen, war der, daß der uniiberfehbaren Geltalten=-
weit ein einheitliches Bildungsgefetz zugrunde liegt. Gegenüber dem mehr
äußerlichen Determinieren und Regiltrieren Linnes forderte er einerfeits mehr
Freiheit für die Formentwiddung, die je nach der Verfchiedenheit der äußeren
Umltände immer wieder anders fich vollziehen wird, andrerfeits aber ein
durchgehendes Gefetz, dem auch noch die einander unähnlichften Geltaltungen
gleichmäßig unterliegen. Goethe war überzeugt, daß diefe Betrachtungsweife
fich auf alles Lebendige übertragen ließe, und fo nahm er keinen Anftand,
auch die Entwicklungen in der Kunltgefchichte nach Analogie von organifchen
Formbildungsprozeflen aufzufalfen, was ia fchon Winckelmanns Meinung ge-
wefen war. —
Man fieht, wie eng in diefer Pfychologie alles zufammenhängt: Die
Richtung auf das Gegenltändliche, die Verehrung der Notwendigkeit in aller
Naturform, das Sich=Befcheiden innerhalb von feft gegebenen Stilgrenzen der
Kunlt, die Lehrbarkeit der Kunlt — und dem entfprechend das Zurückdrängen
aller unklaren Empfindung, die Seligkeit der Itillen reinen Betrachtung, die
ganz im Gegenwärtigen aufgeht <» Der Teufel ilt der Vater aller Sehnfüchte,
Ahnungen ufw.«>, und eine ftets wache, gleichmäßig tätige Lebensführung.
»Ich lebe fehr diät und halte mich ruhig, damit die Gegenltände keine erhöhte
Seele finden, fondern die Seele erhöhen.«
Es ilt die klaffifche Kunlt, der wir hier ins Gefickt fehen. Überflüffig
zu Tagen, daß es daneben auch andere Möglichkeiten von Kunlt gibt. Wichtig
ilt hier nur die Frage, wie weit das Erlebnis Italiens fchuld daran ilt, daß
Goethe klaffifch denken lernte. An der Tatfache ift kein Zweifel: mit ganz
veränderter Phyfiognomie ilt er zuriidcgekommen. Trotzdem kann ich denen
nicht recht geben, die behaupten, das fremde Land habe feine eigentlichen
Kunftanfchauungen umgekrempelt. Man findet nur, was man fucht. Die
Itarke Einwirkung Italiens foll unbeltritfen bleiben, aber daß Lebendiges aus
diefer Einwirkung hervorgehen konnte, beweibt eben, daß befruchtungsfähige
Keime vorhanden waren. Auch wenn man es nicht wüßte, müßte man an-
nehmen, daß Goethes Natur für diefe Berührung irgendwie prädisponiert ge-
wefen ilt.
er damit zunächlt die befonderen Bedingungen der Darltellung, und diefe hielt
er, fobald fie klar formuliert find, für lehrbar. Es ilt ein Kennzeichen aller
klaffifdhen Kunlt, daß fie von einer wilfenfchaftlichen Theorie begleitet wird.
Darum ilt es nicht auffällig, wenn auch der klaffifche Goethe aus Italien
fchreibt: Es ilt weit mehr Pofitives d. h. Lehrbares und Überlieferbares in der
Kunlt als man glaubt.
5. Der große Gedanke der Pflanzenmetamorphofe, der fchon beim Ein-
tritt in Italien Goethe als Ahnung aufgegangen war, um dann in Sizilien
deutliche Geltalt zu gewinnen, war der, daß der uniiberfehbaren Geltalten=-
weit ein einheitliches Bildungsgefetz zugrunde liegt. Gegenüber dem mehr
äußerlichen Determinieren und Regiltrieren Linnes forderte er einerfeits mehr
Freiheit für die Formentwiddung, die je nach der Verfchiedenheit der äußeren
Umltände immer wieder anders fich vollziehen wird, andrerfeits aber ein
durchgehendes Gefetz, dem auch noch die einander unähnlichften Geltaltungen
gleichmäßig unterliegen. Goethe war überzeugt, daß diefe Betrachtungsweife
fich auf alles Lebendige übertragen ließe, und fo nahm er keinen Anftand,
auch die Entwicklungen in der Kunltgefchichte nach Analogie von organifchen
Formbildungsprozeflen aufzufalfen, was ia fchon Winckelmanns Meinung ge-
wefen war. —
Man fieht, wie eng in diefer Pfychologie alles zufammenhängt: Die
Richtung auf das Gegenltändliche, die Verehrung der Notwendigkeit in aller
Naturform, das Sich=Befcheiden innerhalb von feft gegebenen Stilgrenzen der
Kunlt, die Lehrbarkeit der Kunlt — und dem entfprechend das Zurückdrängen
aller unklaren Empfindung, die Seligkeit der Itillen reinen Betrachtung, die
ganz im Gegenwärtigen aufgeht <» Der Teufel ilt der Vater aller Sehnfüchte,
Ahnungen ufw.«>, und eine ftets wache, gleichmäßig tätige Lebensführung.
»Ich lebe fehr diät und halte mich ruhig, damit die Gegenltände keine erhöhte
Seele finden, fondern die Seele erhöhen.«
Es ilt die klaffifche Kunlt, der wir hier ins Gefickt fehen. Überflüffig
zu Tagen, daß es daneben auch andere Möglichkeiten von Kunlt gibt. Wichtig
ilt hier nur die Frage, wie weit das Erlebnis Italiens fchuld daran ilt, daß
Goethe klaffifch denken lernte. An der Tatfache ift kein Zweifel: mit ganz
veränderter Phyfiognomie ilt er zuriidcgekommen. Trotzdem kann ich denen
nicht recht geben, die behaupten, das fremde Land habe feine eigentlichen
Kunftanfchauungen umgekrempelt. Man findet nur, was man fucht. Die
Itarke Einwirkung Italiens foll unbeltritfen bleiben, aber daß Lebendiges aus
diefer Einwirkung hervorgehen konnte, beweibt eben, daß befruchtungsfähige
Keime vorhanden waren. Auch wenn man es nicht wüßte, müßte man an-
nehmen, daß Goethes Natur für diefe Berührung irgendwie prädisponiert ge-
wefen ilt.