Eine Zeichnung Michelangelos für die Vorfahren Chrilti in der Sixtin. Kapelle 835
Michelangelo: Zeichnung für die Vorfahren Chrilti in der Sixtinifchen Kapelle. Oxford, Chrilt»Churdi
liehe Nahrung geben, fo fragt man fich
unwillkürlich, wie wohl diefe Schöpfungen
des reifiten Stils Michelangelos in der Welt
gewertet würden, wenn fie, auf Leinwand
gemalt, wie die Madonnen» und Heiligen»
bilder Raffaels über alle Welt zerftreut
wären. Aber fie thronen in fpröder Ab»
gefdiloflenheit, in fchwindelnder Höhe unter
der Decke der Sixtina, einem langfamen,
mühfam aufgehaltenen Prozeß der Zer»
ftörung ausgefetzt: Pilger und Fremdlinge,
die aber ein fo tiefes Bild des Lebens, fo
innige Beziehungen zwifchen Vater, Mutter
und Kind zum Ausdruck bringen,, daß man
meint, der einfame Schöpfer diefer wunder»
baren Gebilde habe hier alle feine Sehn»
fucht ausgelfrömt nach jenen freundlich
menfchlichen Beziehungen, von denen ihn
der Machtwille feines Genies graufam und
gebieteriieh fernzuhalten wußte1).
1) Im Jant^ar diefes Jahres wurde mit neuen
Sicherungsarbeiten der Sixtina begonnen, die
fich auf die Päplte und die Vorfahren Chrilti
in den Lünetten links vom Haupteingang be»
ziehen. Die Arbeiten werden mit größter
Sorgfalt ausgeführt und befchränken fich dar»
auf, den Mauerbewurf zu beteiligen, wo er
abzufallen drohte.
Lind für diefe lebensvollen Typen eines
im höchlten Sinne tragifchen Gefchlechts
befitzen wir in dem Oxforder Blatt eine
in ihrer Art einzige Skizze, die wohl nur
deshalb in ihrer eigentümlichen Bedeutung
noch nicht voll gewürdigt worden ilt, weil
fie erlt bei Bell der Öffentlichkeit zum erifen»
mal zugänglich wurde.
Eine noch jugendliche Frau fitzt auf»
recht am Boden, in ihrer Haltung an die
Madonna Doni in Florenz erinnernd. Sie
trägt eine Art von Haube wie jene he»
roikhe Mutter der Ezechias»ManalTe»
Aman=Lünette. Mit dem linken Ober»
arm hält fie den Spinnrodcen am Bufen
feit, während die erhobene Linke und die
gelenkte Rechte befchäftigt find, den Faden
zu drehen. Ruhig lächelnd blickt fie auf
den Knaben, der vorne auf ihren Knien
hockt und fich greinend von einem gleich»
altrigen Gefährten abwendet, der ihm, wie
es fcheint, etwas zu elfen oder zu trinken
bringen will. Wem käme nicht fofort das
Madonnenrelief der Royal Academy in
den Sinn, wo ein ganz ähnliches Motiv
behandelt wird, wo der Giovannino fein
flatterndes Vögelchen dem Chriltkind ent»
gegenfireckt, das fich erfchrocken aus dem
Michelangelo: Zeichnung für die Vorfahren Chrilti in der Sixtinifchen Kapelle. Oxford, Chrilt»Churdi
liehe Nahrung geben, fo fragt man fich
unwillkürlich, wie wohl diefe Schöpfungen
des reifiten Stils Michelangelos in der Welt
gewertet würden, wenn fie, auf Leinwand
gemalt, wie die Madonnen» und Heiligen»
bilder Raffaels über alle Welt zerftreut
wären. Aber fie thronen in fpröder Ab»
gefdiloflenheit, in fchwindelnder Höhe unter
der Decke der Sixtina, einem langfamen,
mühfam aufgehaltenen Prozeß der Zer»
ftörung ausgefetzt: Pilger und Fremdlinge,
die aber ein fo tiefes Bild des Lebens, fo
innige Beziehungen zwifchen Vater, Mutter
und Kind zum Ausdruck bringen,, daß man
meint, der einfame Schöpfer diefer wunder»
baren Gebilde habe hier alle feine Sehn»
fucht ausgelfrömt nach jenen freundlich
menfchlichen Beziehungen, von denen ihn
der Machtwille feines Genies graufam und
gebieteriieh fernzuhalten wußte1).
1) Im Jant^ar diefes Jahres wurde mit neuen
Sicherungsarbeiten der Sixtina begonnen, die
fich auf die Päplte und die Vorfahren Chrilti
in den Lünetten links vom Haupteingang be»
ziehen. Die Arbeiten werden mit größter
Sorgfalt ausgeführt und befchränken fich dar»
auf, den Mauerbewurf zu beteiligen, wo er
abzufallen drohte.
Lind für diefe lebensvollen Typen eines
im höchlten Sinne tragifchen Gefchlechts
befitzen wir in dem Oxforder Blatt eine
in ihrer Art einzige Skizze, die wohl nur
deshalb in ihrer eigentümlichen Bedeutung
noch nicht voll gewürdigt worden ilt, weil
fie erlt bei Bell der Öffentlichkeit zum erifen»
mal zugänglich wurde.
Eine noch jugendliche Frau fitzt auf»
recht am Boden, in ihrer Haltung an die
Madonna Doni in Florenz erinnernd. Sie
trägt eine Art von Haube wie jene he»
roikhe Mutter der Ezechias»ManalTe»
Aman=Lünette. Mit dem linken Ober»
arm hält fie den Spinnrodcen am Bufen
feit, während die erhobene Linke und die
gelenkte Rechte befchäftigt find, den Faden
zu drehen. Ruhig lächelnd blickt fie auf
den Knaben, der vorne auf ihren Knien
hockt und fich greinend von einem gleich»
altrigen Gefährten abwendet, der ihm, wie
es fcheint, etwas zu elfen oder zu trinken
bringen will. Wem käme nicht fofort das
Madonnenrelief der Royal Academy in
den Sinn, wo ein ganz ähnliches Motiv
behandelt wird, wo der Giovannino fein
flatterndes Vögelchen dem Chriltkind ent»
gegenfireckt, das fich erfchrocken aus dem