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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Hrsg.]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 58.1923 (April-Septembert)

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Nr. 49/50
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Literatur / [Notizen] / Kunstmarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.39788#0340

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836 Eine Zeichnung Michelangelos für die Vorfahren Chrilti in der Sixtin. Kapelle

Werkftatt Pifanellos: Die hl. Familie <Federzeichnung>. Paris, Louvre
Schoß der Mutter flüchtet? Ob das fchla»
fende Kindchen vorne in dem primitiven
Bettchen auch noch in den Kreis diefer
Darßellung gehört, oder bereits für eine
andere Kompolition beßimmt war?
Man möchte das erltere glauben, weil
Michelangelo auch fonß, wie in der Afa»
Jofaphat»Joram=Lünette, drei Kinderchen
ziemlich gleichen Alters fleh um die Mutter
drängen läßt, und weil dort oben in der
Ecke der Vater ebenfo feit und ruhig fchläft,
wie unten fein Kind. Er hockt dort in
einer nicht fonderlich bequemen, aber mit
wenigen Strichen meißerhafi ausgedrückten
Lage. Wie er dort erfcheint, halb fitzend,
halb liegend, da meinen wir, er fei nach
dem langen Marfch vor Müdigkeit zu»
fammengebrochen.
Wer fände nicht fofort in diefer Zeidi»

nung, in der mit wenig Stri-
dien fo viel gefagt iß, den
ganzen Stimmungsgehalt
wieder, der uns in den Stich-
kappen und Lünetten der
Sixtina fo zaubervoll um»
fängt? Diefes Losgelöfifein
von Zeit und Raum, diefes
Irgendwo der Heimatslofen,
diefes Dafein, das fleh in
hoffnungslofer Einförmig»
keit abfpielt zwifchen Wa-
dien und Schlafen, es iß der
Grundton, auf den die Vor-
fahren Chrißi in der Six»
tina geßimmt find.
Und nicht nur die Stirn»
mung im ganzen, auch die
Motive im einzelnen wie»
derholen Geh in der Zeich»
nung wie in den Fresken.
Schon dasMotiv derSpin»
nerin kehrt an der Decke
wieder. Aber die Frau in
der Afa»Stidikappe iß vor
Erfchöpfung eingelchlafen.
Vornübergebeugt fitzt fie
da auf einem Bündel Klei»
dungsßücke, den Spinn»
rocken mit der Linken auf
die erhobenen Kn ie ßützend.
Und diefes greinende Büb-
dien, das für des Meifiers
leicht humorißifche Art die
Kinderpfyche zu fchildern fo diarakterißilch
iß, finden wir in wenig veränderter Stel»
lung wieder in der Azor»Sadoch=Lünette,
wo die Mutter dem widerfpenßigen Knaben
mit ausgeßrecktem Zeigefinger eine Wei»
fung erteilt.
Auch das Kind in der Wiege begegnet
uns wieder in der Ezechias»Manafle=Aron-
Lünette, und es liegt hier gerade fo bäuch»
lings ausgefiredet in feinem Körbchen, wie
in dem Blatt der Guife»Kollektion.
Den fdilafenden Vater aber finden wir
in allen nur denkbaren Stellungen in den
Fresken, und insbefondere das Motiv des
zwifchen die erhobenen Arme gebetteten
Hauptes hat Michelangelo auch in der
heute zerfiörten Phares»Esron=Aram»Lü»
nette über dem Hochaltar angewandt.
So dürfen wir das Blatt der Guife»
 
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