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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 16.1905

DOI Artikel:
Nacht, Leo: Die Weltausstellung in St. Louis 1904
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https://doi.org/10.11588/diglit.4872#0010

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WELTAUSSTELLUNO ST. LOUIS 1904, FESTHALLE

DIE WELTAUSSTELLUNO IN ST. LOUIS 1904

VON LEO NACHT

I. EINLEITENDES

NEW YORK. Nachdem das Auge tagelang die
weichen Linien des bewegten Wasserspiegels
in sich aufgenommen hat, sich vollgesogen
mit dem weiten Horizont des Meeres und die reinen
Wirkungen der horizontalen Linie an sich erproben
konnte, starren mit einem Male die mächtigen Senk-
rechten der Himmelskratzer vor dem erstaunten
Auge in die Höhe. Der Gegensatz ist faszinierend.
Unserem sich während der letzten Tage in einer
breiten Epik gefallenden Gemüte, diese straffe, bei-
nahe dramatische Steigerung der in die Höhe
schießenden Gebäudemassen. Es ist, als ob sich
alles in uns reckt und dehnt. Der an den klassischen
Bauten geschulte Höhenmaßstab sieht sich hier ganz
neuen Aufgaben gegenüber. Alle die statischen
Werte, die sich in uns aufgespeichert haben, das
Verhältnis von Kraft und Stütze im Stein, das ohne-
hin durch die neuen Lösungen im Eisen eine ge-
waltige Änderung erfahren hat, und unser ästhe-
tisches Empfinden immer noch in einer gewissen
Unruhe hält, wird hier vollends ins Wanken gebracht.
Wir versuchen es mit einer organischen Deutung,

wir versuchen den tragenden Unterteil von der
darüber liegenden Last ästhetisch zu sondern, doch
wohin sollen wir die Grenze zwischen Stütze und
Last verlegen? Die Eisenkonstruktion ist verdeckt,
die senkrechten Träger, auch wenn sie bloßgelegt
werden in ihrem konstruktiven Gerippe, sind ja
Stütze und Last zugleich, wenn auch die Empfindung
sie mehr als Stütze erachtet. Doch alles ist ver-
kleidet, der gewaltige Kräfteprozeß ist uns verborgen,
das Leben hinter diesen steinernen Kulissen wird als
solches gar nicht mehr empfunden, und wir ver-
langen nur nach dekorativer Wirkung, senkrechte oder
wagerechte Gliederung der Massen. Wir suchen
aber auch hierin ein Gleichgewicht mit unserem
altgewohnten Maßstab; es ist, als ob wir uns aus
dem Zehntelmaßstab in den natürlichen begeben, erst
langsam finden wir uns zurecht. Und wenn wir
diese steinernen Riesen in ihrer monumentalen Ruhe
von diesen Menschenmassen an ihrem Fuße um-
brandet sehen, diesen mächtigen, sich zwischen ihnen
durchdrängenden Verkehr, dann erst wird es uns
klar, daß wir in ein Land gekommen sind, in
welchem einer Riesenenergie auch Riesenkräfte zur
Verfugung stehen. Die Wogen des atlantischen
 
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