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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 16.1905

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Nacht, Leo: Die Weltausstellung in St. Louis 1904
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https://doi.org/10.11588/diglit.4872#0011

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DIE WELTAUSSTELLUNO IN ST. LOUIS 1904

WELTAUSSTELLUNG ST. LOUIS 1904, BERGBAUGEBAUDE

Ozeans schlagen an seine Küsten und mit jeder
Welle kommt ein Stück alter Kultur von drüben, die
hier zu neuer Art verarbeitet wird.

ST. LOUIS. Die Wucht der in New York ge-
schauten Größenverhältnisse hat nachgelassen; die
wunderbare Assimilatiosfähigkeit der menschlichen
Natur hat es zuwege gebracht, daß wir schon
Eigenes mitbringen. An den alten Maßstab ist eine
neue Teilung angesetzt, wir selbst sind mit ihm ge-
wachsen. Neue Schönheiten gehen in uns auf.
Neben dem lebendig vorhandenen Alten, stilistisch
Reinem, in der Form Vollendetem, taucht das Neue
auf, das wir empfinden, aber noch nicht deuten
können. In St. Louis derselbe Geist, dieselbe Energie,
dieselbe Materie wie in New York. Die Leistungen
aus diesen Faktoren nur treten zu sporadisch auf.
Die Himmelskratzer sind zu zählen, in einzelnen
Straßen, Blocks, konzentriert sich jedoch der ge-
schäftliche Impuls. Die Straßen werden zu Eng-
pässen, in deren Sohle die elektrischen Cars sausen.
Mit der Entfernung von der City nehmen die Abstände
zwischen den einzelnen Häusern zu. Der Engpaß
verschwindet, kleine Häuschen huschen an den Cars
vorüber, des Abends in einen goldgelben Schein
gehüllt. Wir kommen in das Viertel der places;
das vornehme Privatleben beginnt; in sich abge-
schlossen, wie ruhendes Eiland, so liegen sie da,
diese Stätten des vornehmen Familienlebens. Ein
jedes kleines Haus in demselben wie ein bijou im
Grünen; alte Seiten tönen in uns, traute Laute in
dieser Welt der Abgeschiedenheit. Wir kommen zu uns
selbst. Kaum vermag die Erinnerung in dieser Idylle
die vorher geschauten Energiemassen zurückzurufen.

Zwischen diesen beiden Extremen, dieser auf

einen Raum gesammelten Arbeitskraft, die in dem
Geschäftsviertel wie in einer konzentrierten Arbeits-
quelle sich objektiviert, und den places da draußen, die
in ihrer vornehmen Vereinsamung und ihrer Entfernung
schon äußerlich die Trennung von der Arbeitsstätte
darstellen, liegt die unfruchtbare Mittelmäßigkeit. Und
durch die dünne kulturelle Tünche guckt das nackte
Daseinsbedürfnis in krasser Unmittelbarkeit in unsere
Augen. Der Kommunalsinn hat noch nicht jene
Höhe erreicht, die ihn befähigt, die Kultur der Familie
in die Adern des öffentlichen Lebens zu ergießen.

Und diese Stadt nun ist die Schöpferin der Aus-
stellung. Die gesammelte Arbeitsenergie der City hat
rücksichtslos einen herrlichen Park von 20000
grünen, schattenspendenden Bäumen ausroden, einen
murmelnden Bach überbrücken lassen, der vornehme
Sinn der places hat — nicht seine spezifische Kultur
in dem verödeten Stück Erde zum Ausdruck bringen
können. Die zufällige politische Energie an eine der
leitenden Stellen gerückt, entbehrte jener spezifischen
Kultur und machte die Hauptausstellungsgebäude, die
den Kern bilden, nur zum Spiegelbild einer nackten,
robusten Willenskraft, die durch alle ästhetischen
Nebenfaktoren dringt, welche ihr zur Unterstützung
beigegeben wurden. Nur hier und dort vermag eine
gleichwertige künstlerische Energie dieser brutalen
Einzelkraft die Wage zu halten, oder sich loszulösen.
Wie es bei dem Minengebäude des Deutschamerikaners
Link, dem Transportgebäude des Franzosen Masque-
ray, der Festhalle des Amerikaners Gilbert, dem
Fischereigebäude und dem Gebäude für bildende
Künste zum Ausdruck kommt. In den übrigen Haupt-
gebäuden, es sind deren sechs, geht das Schicksal
seinen Gang. Der schöpferische Sinn der Einzel-
 
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