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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 16.1905

DOI Artikel:
Nacht, Leo: Die Weltausstellung in St. Louis 1904
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https://doi.org/10.11588/diglit.4872#0012

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DIE WELTAUSSTELLUNG IN ST. LOUIS 1904

WELTAUSSTELLUNO ST. LOUIS 1904, TRANSPORTOEBAUDE

architekten verflüchtigt sich in einer fremden Atmo-
sphäre. Die Renaissance von jeher angewendet für
einen glänzenden, repräsentativen Charakter, sollte
ihn auch hier vertreten. Und der Architekt, losgelöst
von allen inneren Daseinsbedingungen, seiner Schöp-
fung, sollte einer Sache Charakter geben, deren Wesens-
inhalt ihm entzogen war. Er mußte absehen von
der inhaltlichen Wiedergabe seines Objektes, und
damit schwand ihm der Boden unter den Füßen.
Sein Entwurf mußte schematisches Phantasieprodukt
werden und ist es geworden. Wie in einer inneren Em-
pörung betrachtet man diese seelenlosen Schöpfungen,
zu deren Verwirklichung eine solche Fülle von
Energie, Willenskraft und Mitteln verschwendet wor-
den sind. Diese endlosen Säulenreihen innerhalb der
Fassadenarchitektur, aus denen auch jedes Fünkchen
jenes seelischen Gehaltes destilliert ist, das ihre herr-
lichen Vorbilder einst besessen, und die wie mit
einer gelben Pergamenthaut überzogen sind, vervoll-
ständigen das Bild der tristesten Öde! Man wandelt
wie unter Leichen; und wenn jemals der Beweis an-
getreten werden sollte, daß die Architektur eine Sprache
sei, die zu Herzen ginge und die in uns Stimmungen
von gewaltiger Macht und trauter Innigkeit, von nacktem
Daseinsbedürfnis und von vornehmer Kultur erwecken
kann, hier ist er in seiner grausigen Negation an dem
überwiegenden Teil der Architekturen erbracht. Nur
des Abends, wenn die seelenlose Form verschwindet,

und an ihrer Stelle in den Hauptkonturen der Ge-
bäude Tausende von Glühlampen aufleuchten und
ihnen flammendes Leben verleihen, wenn die spru-
delnden Wasser von farbigen Lichtern durchschossen ihre
funkelnden Perlen in die dunkle blaue Nacht sprühen,
wenn die Festhalle mit den anschließenden Kolon-
naden in farbiger Glut dieses Riesentransparentgemälde
abschließt, wenn in den Riesenwasserbecken zu ihren
Füßen die Gondoliere ihre schmachtenden Weisen
ertönen lassen, die in sehnsuchtsvollen Seufzern über
die Wasser irren, dann erst sind wir versöhnt und lassen
widerstandslos weiche Regungen über uns kommen.
Die bundesstaatlichen Gebäude und die der frem-
den Staaten waren der Ausstellungsleitung entrückt.
Und da findet man denn auch im Verhältnis das
Individuelle häufiger. In dem mächtigen Ausstellungs-
terrain, das so groß ist wie das Pariser und Chica-
goer zusammen, liegen die bundesstaatlichen Gebäude
in einer weitausgedehnten Gruppe für sich. Und
wenn auch das ästhetische Vermögen in ihnen nicht
so weit gediehen ist, um formvollendete, originelle
Schöpfungen erstehen zu lassen, so liegt doch in
manchen von ihnen, wenn auch unbeholfen, ein Sinn
für das Spezifische des Landes. Nur an einer Stelle
fügen sich diese individuellen Züge zu einem cha-
rakteristischen Gesamtbild, am Washington State Buil-
ding. Der Holzreichtum dieses Landes verlangte
einen packenden Ausdruck in dem Repräsentations-
 
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