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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 16.1905

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Miessner, Wilhelm: Moderne Plaketten und Medaillen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4872#0049

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MODERNE PLAKETTEN UND MEDAILLEN

BILDHAUER ALBERT REIMANN, BERLIN, TEE- UND KAFFEESERVICE

sehen, nach Paris reisen, oder sie sich von dort kommen
lassen müßte. Gediegene Stadtmuseen bieten dem
Studium schon oft ein hinreichendes Material. Auch
haben den französischen Meistern eine Reihe Deutscher
die Geheimnisse dieser allerliebsten Kleinkunst abge-
schaut. Nur das Publikum scheint bei uns noch gar
wenig davon zu wissen. Die Gesellschaften und selbst
die Regierungen zum Teil, beziehen immer noch vom
alten geschmacklosen Herrn Schlendrian ihre Entwürfe
zu neuen Prägungen. Und doch haben wir schon
eine Heineplakette von Knautsch, eine Goetheplakette
von Kpwarczik, die uns die neuen Offenbarungen
verkünden.

Ja, wir brauchen uns nicht einmal ganz von den
Franzosen abhängig zu machen, im Studium alter
deutscher Medaillen aus der Zeit, da die Kunst auch
beim Handwerker und Bürger in Ansehen stand,
finden sich zum Beispiel, besonders für die richtige
ornamentale Anordnung der Schrift genug klassische
Beispiele. Gerade hier sieht man aber unsere deut-
schen Künstler, wie Scharff (Wien), auch Kowarczik
(Frankfurt am Main) noch am meisten Fehl greifen.
Sie nehmen die protzige, raumverschwendende Druck-
schrift und beachten nicht, daß auf der Plakette die
Inschrift wie eine Handschrift wirken sollte.

Die französischen Künstler sind inzwischen zu
einer stattlichen Garde herangewachsen, von denen
jeder einzelne seine Eigenart sehr wohl zu wahren weiß.
So klein die Gegenstände sind, die der schnell be-

geisterte Beschauer in seiner Hand wiegt, umdreht
und wieder umdreht und zuletzt nicht weiß, welche
Seite er in seinem rot ausgeschlagenen Plüschkästchen
nach oben legen soll, so groß und erhaben erscheint
dem Betrachter die Kunst und die Künstler des Klein-
reliefs vor ihren bedeutendsten Werkchen. Da ist
alles fein abgestimmt. Schon die Komposition er-
fordert nicht nur eine bildnerische und malerische
Phantasie, sondern auch einen Philosophen oder
Stimmungskünstler, wie nur irgend ein Werk der
großen Leinwand oder bildnerischen Materials. Um
gleich einen Meister der Komposition zu nennen:
Roty ist reich als Verstandesmensch, wie als Mystiker
in seinen Werken. Die Medaille auf das Centenarium
Chevreuls zeigt uns im Avers den fein und energisch
zugleich ziselierten Kopf des Gelehrten. Die Willens-
kraft dieses Mannes prägt sich im Blick, in der schönen
freien Haarbehandlung, in der gedrungenen aufrechten
Haltung und noch im ausdrucksvollen Charakter der
Schrift aus. Auf dem Revers schreitet ein zartes
junges Weib mit einem Buch unter dem Arm auf
den Gelehrten zu, der in einem Lehnsessel Platz ge-
nommen hat: »La jeunesse francaise au doyen des
etudiants« sagt die Inschrift.

Eine Mutter, das Kind im Arm aufrecht stehend,
genau in der Mitte des etwa talergroßen Silberrund.
Kein Rand, aus einem Guß setzt sich die Fläche vom
einfachen langen Gewand aus fort. Es ist ein modernes
Weib, in moderner Tracht, mit der Schönheit der
 
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