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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 16.1905

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Zimmermann, Ernst: Die Ausstellung von Thüringer Porzellanen im Grassimuseum zu Leipzig
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https://doi.org/10.11588/diglit.4872#0091

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84 DIE AUSSTELLUNG VON THÜRINGER PORZELLANEN IM GRASSIMUSEUM ZU LEIPZIG

heit unbehaglich zu werden und darum dringend einer
Aufhellung bedurfte. Man war nachgerade dazu gekom-
men, wie für die Frühzeit des europäischen Porzellans
alles nach Venedig, so alles nicht Bestimmbare und
weniger Bedeutende späteren Datums nach Thüringen
zu setzen. Man hatte Thüringen zu einem Sammel-
surium für alle möglichen minderwertigen Objekte
gemacht, die durch eine gewisse Derbheit etwas un-
verkennbar Deutsches an sich trugen. Es ist mit dieser
Auffassung, wie die Ausstellung zeigt, diesem Lande
nicht immer Unrecht getan worden; man hatte in ge-
wisser Beziehung einen richtigen Instinkt gehabt.
Aber dennoch war man in dieser Beziehung zu weit
gegangen. Nur die weniger günstige Seite dieser Pro-
duktion war erkannt, darüber die gute völlig über-
sehen worden.

Man wußte bisher so herzlich wenig über die
Entstehung des Thüringer Porzellans: das war der
Grund dieses Irrtums. Es fehlte
an urkundlichen Nachrichten, es
fehlten vor allem die Erzeugnisse
selber. Durch die Verteilung
dieser Industrie über ein ganzes
Land war auch das ganze Ma-
terial zu ihrer Geschichte arg
verstreut. Dazu gab es da, wo
sich die Urkunden fanden, noch
keine Erzeugnisse. Was von
jenen schon publiziert war, ver-
kroch sich zum Teil in lokalen
Zeitschriften. Die Porzellane
selber waren infolge ihrer langen
Mißachtung noch nicht wieder
durch Sammler oder Museen an
die Öffentlichkeit gelangt. Das
Forschen mußte hier überall
mit Entdeckungsreisen beginnen,
der Suchende eine wahre Spür-
nase haben. Es wird nicht
viele Gebiete der deutschen Kunst
gegeben haben, die zu ihrer
Richtigstellung einer solchen Anstrengung bedurften.

Um so erfreulicher ist, daß nun der größte Teil
dieser Arbeit wirklich geleistet ist. Zuerst hat Professor
Stieda in Leipzig in seinem, im Jahre 1902 erschienenen
Werke, Die Anfänge der Porzellanfabrikation auf dem
Thüringer Walde, volkswirtschaftlich-historischeStudien,
das urkundliche Material gesammelt und in einem
starken Bande veröffentlicht. Er hat damit die Grund-
lage gelegt für jedes weiteres Arbeiten auf diesem
Gebiet. Das Werk gibt eine fast zu reiche Fülle
von neuem Material und Einzelheiten, dadurch viele
neue Einblicke in diesen Betrieb. Er hat freilich, da
viele Dokumente dauernd verschwunden zu sein
scheinen, manche Lücke lassen müssen, die wohl nie
wieder ganz ausgefüllt werden kann. Gänzlich jedoch
fehlt diesem Werk — und es hat dies auch gar
nicht angestrebt — die Darstellung der künstlerischen
Entwickelung. Es hätte dies eine neue, eine zweite
Arbeit erfordert. Es schildert mehr die ökonomische,
die industrielle Seite dieser Unternehmungen. Und

PROFESSOR M. LAUGER, KARLSRUHE,

BLUMENTOPF IN FAYENCE MIT

GOLDMOSAIKEINLAOE

doch empfand man die künstlerische Lücke nach
dem Erscheinen dieses Buches nur um so stärker,
da gerade aus den hier gegebenen Tatsachen ein
viel größerer Kunstbetrieb hervorging als man bisher
geahnt hatte. So faßte denn das Leipziger Kunst-
gewerbemuseum, da in dem Nachbarlande selber ein
großes zentrales, zu diesen Aufgaben befähigtes
Museum fehlte, den ebenso kühnen wie lobenswerten
Entschluß, mit Aufbieten seiner ganzen Mittel und
Kräfte den zweiten Teil dieser Arbeit nachzuholen
und so das Bild des Thüringer Porzellans, zu dem
das Stiedasche Buch die erste Grundlage gegeben
hatte, abzurunden, um es in dieser Form dem all-
gemeinen Bilde der Kunstgeschichte des 18. Jahr-
hunderts einzufügen. Das ist in ganz überraschender
Weise gelungen. Ein fast tausend Nummern zählendes
Material ist zusammengekommen, hat Überraschungen
genug gebracht und die großen Anstrengungen, die
gemacht sind, genügend gelohnt.
Damit aber schließt das Jahr 1904
mit einem wirklich erfreulichen
Abschluß auf einem bisher so
dunklen und doch so interessanten
Gebiet der deutschen Keramik.

Das Thüringer Porzellan des
18. Jahrhunderts bedeutet mehr als
ein Seitengebiet der keramischen
Kunst dieses Zeitraumes, es be-
deutet auch die Anfänge einer kera-
mischen Industrie, die in unserer
Zeit zu einer beispiellosen Ent-
wickelung gelangt ist, ja auf kera-
mischem Gebiet in Deutschland fast
einzig dasteht. Die Thüringer Por-
zellanindustrie zählte im Jahre 1896
gegen hundert Betriebe, darunter
mehr als fünfzig mit über hundert,
mehr als dreißig mit über zwei-
Sie beschäftigt jetzt in 120 Fabriken

hundert Arbeitern.

an 28000 Arbeiter, zu denen im benachbarten Franken
noch zehn Fabriken mit 1500 Arbeitern dazukommen
nebst vielen, die in der Hausindustrie und in der
Porzellanmalerei beschäftigt sind. Sie stellt damit
drei Fünftel des gesamten Porzellanbetriebes Deutsch-
lands dar und scheint, wie obige Zahlen beweisen,
noch immer stark in der Zunahme begriffen zu sein.
Da ist es gewiß interessant, die Anfänge dieser Ent-
wickelung kennen zu lernen. Freilich gegenüber dieser
breiten Entwickelung waren sie bescheiden genug, wenn
auch in gewisser Beziehung von Anfang an zukunfts-
reich. Denn während im übrigen Deutschland die
Porzellanfabriken in dieser Zeit spärlich gesät sind,
meist innerhalb eines geschlossenen größeren poli-
tischen Bezirks nur eine einzige begründet wird, be-
ginnt hier die Entwickelung gleich mit der Vielheit:
dicht nebeneinander reihen sich hier, als seit der
zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts Deutschland, wie
fast ganz Europa ein wahres Porzellangründungsfieber
 
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