Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 16.1905

DOI Artikel:
Pabst, Arthur: Beobachtungen über gewerbliche Erziehung und praktischen Unterricht in den Schulen der Vereinigten Staaten von Nordamerika: Nach einem Vortrage, gehalten im Kunstgewerbeverein zu Leipzig am 31. Januar 1905
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.4872#0189

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
182 BEOBACHTUNGEN ÜBER GEWERBLICHE ERZIEHUNG UND PRAKTISCHEN UNTERRICHT

SPITZENARBEIT VON MARQUERITE BRUSTLEIN, LEIPZIG

Form und eines
denstrengerenBe-
dingungen ange-
paßten Schmuk-
kes. Unsere ge-
samte Schulbil-
dung sollte mehr
auf das Praktische
gerichtet sein;
wenn dabei auch
die Quantität des
Wissens etwas
geringer würde,
so würde sich
doch seine Qua-
lität und die
Fähigkeit des
Könnens wesent-
licherhöhen. Man
sollte nur immer
dessen eingedenk
sein, daß es nicht

die sogenannte allgemeine Bildung ist, die für das
Leben tüchtig macht, daß unseren Schülern nicht ein
frühzeitiges Allgemeinwissen frommt, sondern ein
gründliches Können auf beschränktem Gebiete, eine
möglichst gründliche Ausbildung von Auge und Hand
und eine Entwicklung der Willenskräfte, auf die allein
es im Leben ankommt. »Einzig die Kraft vermag
das Leben zu meistern, das Wissen nur dann, wenn
es im Dienste der Kraft steht« (Lichtwark). Mit Recht
erinnert Kerschensteiner auch an Goethes Wort, der
den Alten in seinem »Wilhelm Meister« sagen läßt:
»Eines recht wissen und ausüben gibt höhere Bildung
als Halbheit im Hundertfältigen«, und der in der ihm
eigenen, wunderbar anschaulichen und vorausahnenden
Weise den Satz ausspricht: »Allem Leben, allem Tun,
aller Kunst muß das Handwerk vorausgehen, das nur
in der Beschränkung erworben wird«.

Wenn wir diesen Sätzen den Maßstab entnehmen,
mit dem wir alles messen, was bei uns und in
anderen Ländern für die gewerbliche Erziehung getan
wird, so können wir wohl zu einem Urteile von
solcher Schärfe kommen, wie es Professor Seliger,
der Direktor der Kunstakademie zu Leipzig, in einem
Vortrage auf dem Delegiertentage des Verbandes
deutscher Kunstgewerbevereine zu Braunschweig igo4
ausgesprochen hat: »Ich klage die deutsche Wissen-
schaftsschule an, daß sie die manuelle Geschicklich-
keit des deutschen Volkes nicht schätzt oder nicht zu
sehen scheint, sie nicht fördert, sondern zum Teil
geradezu erstickt. Ich behaupte, daß wir so erziehen,
daß das ganze deutsche Volk so gut wie technisch
blind, aber ästhetisch und geistig superklug geworden
ist.« (»Kunstgewerbeblatt« 1904, Heft 11).

Diese Anklage ist schwer, aber nicht unbegründet,
denn unsere heutige Schulerziehung scheint in der
Tat nur darauf angelegt zu sein, der Jugend Lehr-
stoffe zu übermitteln, nicht aber ihre natürlichen
Kräfte und Anlagen zu entwickeln. Wie wenig natur-
gemäß unsere heutigen Unterrichtsmethoden sind,

zeigt am besten
ein Vergleich der
kindlichen Ent-
wicklung vor
der Schulzeit und
die Fortsetzung
derselben wäh-
rend der ersten
Schuljahre. Die
bis zum Beginn
der Schulzeit bei
jedem gesunden
Kinde ungestört
verlaufende Ent-
wicklung wird
durch den Schul-
unterricht in man-
cher Hinsicht ge-
radezu gehemmt;
das Kind, das
bis dahin selbst-
schaffend tätig
war, das namentlich im Formen in verschiedenem
Material, im Bauen und im Zeichnen unermüdlich
und schöpferisch gestaltete, setzt mit diesen Tätig-
keiten aus, und oft genug wird der Trieb zu denselben
nie wieder recht lebendig. Und auch auf den höheren
Stufen tut die Schule nichts Nennenswertes zur Aus-
bildung der Kräfte, auf die es für die gewerbliche
Erziehung eigentlich ankommt.

Die Behandlung aller Fragen der gewerblichen
Erziehung greift demnach zurück auf die Fragen der
Schulerziehung überhaupt; in dieser, im besonderen
also in der Volksschulerziehung, müssen sich durch-
greifende Wandlungen vollziehen, ehe sie als eine
geeignete Vorstufe der gewerblichen Erziehung an-
gesehen werden kann. Die Betonung aller der Forde-
rungen, die zum Zwecke einer systematischen Aus-
bildung von Auge und Hand schon in der Volksschule
erhoben werden, muß mit allem Nachdruck geschehen,
denn das, was in dieser Hinsicht bis jetzt geleistet
wird, ist durchaus unzureichend. Eine Gefahr, daß
die Volksschule dadurch zu einer Berufsschule werden
würde, statt eine allgemeine Bildungsanstalt zu sein,
liegt deshalb noch lange nicht vor.

Diese Erörterungen mußten wir vorausschicken,
um den richtigen Maßstab für die Verhältnisse zu
gewinnen, um die es sich bei der gewerblichen Er-
ziehung handelt.

Mit wenig Worten soll nun, bevor wir zu unserm
eigentlichen Thema übergehen, der Stand der ge-
werblichen Erziehung in den Ländern berührt werden,
die im Verhältnis zu Deutschland hauptsächlich in
Betracht kommen.

Der hohe Stand des gewerblichen Unterrichts-
wesens in Österreich ist bekannt; ist dasselbe doch seit
seiner Organisation durch Baron von Dumreicher vor-
bildlich gewesen für viele Länder! Auch die Schweiz
und Frankreich genießen auf diesem Gebiete ein
wohlbegründetes Ansehen, wie dies Kerschensteiner
in seinem bekannten Buche: »Beobachtungen und
 
Annotationen