PORZELLANSTIL
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erfordert um seiner großen Schwierigkeiten willen eine
ganze Kraft und ein ganzes Sicheinsetzen. Ein Neben-
herarbeiten auf diesem Gebiet — das zeigen mehr
oder weniger alle bisherigen Versuche dieser Art —
kann nur ganz ungewöhnlich technisch begabten
Künstlern gelingen und auch diese haben mit dem
spröden Stoffe aufs schärfste zu ringen.
Daher sollte, wer sich heute an die künstlerische
Bezwingung des Porzellans wieder heranwagt, vorher
Umschau halten über das, was früher bereits auf
diesem Gebiete geleistet. Wozu haben Jahrhunderte,
wozu die verschiedensten Völker sich in dieser Kunst
angestrengt, sollen alle diese Bemühungen und Re-
sultate für unsere Bestrebungen nutzlos bleiben? Es
ist wahr, Museen besuchen, alte Kunst anschauen,
gilt einem modernen Künstler strengster Observanz
noch immer für ziemlich abgeschmackt und kindisch,
ja, selbst für gefährlich. Er strebt, frei und unbe-
hindert von aller Tradition nur aus dem eigenen
Busen seine Kunst zu schöpfen. Doch er vergesse
nicht, daß zwar vielleicht die freie künstlerische Er-
findung ein freies, geschichtsloses Kind zu sein
vermag, nicht aber die Geschmackshöhe und das
stilistische Empfinden, die stets die Folge einer
allgemeinen kulturellen Entwicklung sind, von der
man sich nicht loslösen kann, ohne nicht auch leicht
jene zu verlieren. Vor allen, wenn es sich um
ein so schwieriges kunsttechnisches Gebiet wie
das Porzellan handelt! Nicht künstlerisch schaffen,
sondern künstlerisch empfinden lehren, das
bleibt für die heutigen Künstler die Aufgabe der
Museen. Auch für sie müssen sie Geschmacks-
bildungsanstalten werden, so lange nicht der
Geschmack sich wieder traditionsmäßig von Ge-
neration zu Generation von selber fortpflanzt,
wie es früher fast immer der Fall gewesen.
Hier soll daher der Versuch gemacht werden,
mit ganz besonderer Berücksichtigung der heu-
tigen Aufgaben auf diesem Gebiet, die wich-
tigsten Grundprinzipien eines gesunden Por-
zellanstils festzustellen, wie sie Verstand und
Logik aus dem Wesen und der Technik dieses
Stoffes theoretisch heraus entwickeln und die
bisherigen Leistungen auf diesem Gebiete prak-
tisch bestätigen.
Ein solcher, das ganze Wesen des Porzel-
lans umfassender Versuch dürfte bisher noch
nicht gemacht worden sein. Er dürfte auch für
die übrige Keramik noch fehlen. Denn die
Stilistik, die wir dem großen Gottfried Semper
verdanken, auf der der größte Teil unserer stili-
stischen Erkenntnis noch heute beruht, hat den
für seine Zeit besonders charakteristischen
Mangel, bei aller Feinheit formaler Stilbestim-
mung die koloristische stark vernachlässigt zu
haben. So lesen wir in dem die Keramik be-
handelnden Teil seines klassischen Werkes als
eins der anerkannt besten Kapitel die wunder-
voll feinsinnige Erklärung der formalen Bildung
der antiken Gefäße aus ihrer Zweckmäßigkeit
heraus und dergleichen mehr. Wie kurz aber
werden daneben die späteren Zeiten der Keramik be-
handelt, da die Keramik sich weiter entwickelt hat
zu einer spezifisch koloristischen Kunst, die gerade
im Porzellan ihre höchsten nicht zu überbietenden
Triumphe gefeiert hat!
Vier Eigentümlichkeiten des Porzellans ergeben auf
Grund theoretischer wie praktischer Untersuchung die
stilistische Grundlage seiner künstlerischen Gestaltung:
Zunächst will das Porzellan, das irgendwie reizvoll
wirken soll, Immer dekoriert sein, es wird ferner stets
nach Dellkatesse streben, welter, in allererster Linie
auf farbige Wirkungen ausgehen, und schließlich nur
zu leicht einer größeren Launenhaftigkeit sich hingeben,
die diesem eigenartigen Stoffe ebenso gut ansteht,
wie es dem Wesen anderer schnurstracks zuwiderläuft.
Zunächst: ganz unbelebtes, das heißt weder plastisch
noch koloristisch irgendwie dekoriertes Porzellan hat
es nur selten gegeben. Das Porzellan ist immer
mehr oder weniger eine gewollte »Kunst« gewesen,
selbst im ig. Jahrhundert, da seine allgemeine De-
mokratisierung, sein Sichwegwerfen ans »Volk« ein-
tritt und mit ihm jenes erschreckliche Herabdrücken
seines künstlerischen Niveaus, an dem es noch heute
so leidet. Grund hierfür ist vor allem, daß ganz
: -".
11
Wt^' '
1 9 H
Üb
W. SCHMARJE, WANDBRUNNEN IN SARDINISCHEM GRANIT
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erfordert um seiner großen Schwierigkeiten willen eine
ganze Kraft und ein ganzes Sicheinsetzen. Ein Neben-
herarbeiten auf diesem Gebiet — das zeigen mehr
oder weniger alle bisherigen Versuche dieser Art —
kann nur ganz ungewöhnlich technisch begabten
Künstlern gelingen und auch diese haben mit dem
spröden Stoffe aufs schärfste zu ringen.
Daher sollte, wer sich heute an die künstlerische
Bezwingung des Porzellans wieder heranwagt, vorher
Umschau halten über das, was früher bereits auf
diesem Gebiete geleistet. Wozu haben Jahrhunderte,
wozu die verschiedensten Völker sich in dieser Kunst
angestrengt, sollen alle diese Bemühungen und Re-
sultate für unsere Bestrebungen nutzlos bleiben? Es
ist wahr, Museen besuchen, alte Kunst anschauen,
gilt einem modernen Künstler strengster Observanz
noch immer für ziemlich abgeschmackt und kindisch,
ja, selbst für gefährlich. Er strebt, frei und unbe-
hindert von aller Tradition nur aus dem eigenen
Busen seine Kunst zu schöpfen. Doch er vergesse
nicht, daß zwar vielleicht die freie künstlerische Er-
findung ein freies, geschichtsloses Kind zu sein
vermag, nicht aber die Geschmackshöhe und das
stilistische Empfinden, die stets die Folge einer
allgemeinen kulturellen Entwicklung sind, von der
man sich nicht loslösen kann, ohne nicht auch leicht
jene zu verlieren. Vor allen, wenn es sich um
ein so schwieriges kunsttechnisches Gebiet wie
das Porzellan handelt! Nicht künstlerisch schaffen,
sondern künstlerisch empfinden lehren, das
bleibt für die heutigen Künstler die Aufgabe der
Museen. Auch für sie müssen sie Geschmacks-
bildungsanstalten werden, so lange nicht der
Geschmack sich wieder traditionsmäßig von Ge-
neration zu Generation von selber fortpflanzt,
wie es früher fast immer der Fall gewesen.
Hier soll daher der Versuch gemacht werden,
mit ganz besonderer Berücksichtigung der heu-
tigen Aufgaben auf diesem Gebiet, die wich-
tigsten Grundprinzipien eines gesunden Por-
zellanstils festzustellen, wie sie Verstand und
Logik aus dem Wesen und der Technik dieses
Stoffes theoretisch heraus entwickeln und die
bisherigen Leistungen auf diesem Gebiete prak-
tisch bestätigen.
Ein solcher, das ganze Wesen des Porzel-
lans umfassender Versuch dürfte bisher noch
nicht gemacht worden sein. Er dürfte auch für
die übrige Keramik noch fehlen. Denn die
Stilistik, die wir dem großen Gottfried Semper
verdanken, auf der der größte Teil unserer stili-
stischen Erkenntnis noch heute beruht, hat den
für seine Zeit besonders charakteristischen
Mangel, bei aller Feinheit formaler Stilbestim-
mung die koloristische stark vernachlässigt zu
haben. So lesen wir in dem die Keramik be-
handelnden Teil seines klassischen Werkes als
eins der anerkannt besten Kapitel die wunder-
voll feinsinnige Erklärung der formalen Bildung
der antiken Gefäße aus ihrer Zweckmäßigkeit
heraus und dergleichen mehr. Wie kurz aber
werden daneben die späteren Zeiten der Keramik be-
handelt, da die Keramik sich weiter entwickelt hat
zu einer spezifisch koloristischen Kunst, die gerade
im Porzellan ihre höchsten nicht zu überbietenden
Triumphe gefeiert hat!
Vier Eigentümlichkeiten des Porzellans ergeben auf
Grund theoretischer wie praktischer Untersuchung die
stilistische Grundlage seiner künstlerischen Gestaltung:
Zunächst will das Porzellan, das irgendwie reizvoll
wirken soll, Immer dekoriert sein, es wird ferner stets
nach Dellkatesse streben, welter, in allererster Linie
auf farbige Wirkungen ausgehen, und schließlich nur
zu leicht einer größeren Launenhaftigkeit sich hingeben,
die diesem eigenartigen Stoffe ebenso gut ansteht,
wie es dem Wesen anderer schnurstracks zuwiderläuft.
Zunächst: ganz unbelebtes, das heißt weder plastisch
noch koloristisch irgendwie dekoriertes Porzellan hat
es nur selten gegeben. Das Porzellan ist immer
mehr oder weniger eine gewollte »Kunst« gewesen,
selbst im ig. Jahrhundert, da seine allgemeine De-
mokratisierung, sein Sichwegwerfen ans »Volk« ein-
tritt und mit ihm jenes erschreckliche Herabdrücken
seines künstlerischen Niveaus, an dem es noch heute
so leidet. Grund hierfür ist vor allem, daß ganz
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Üb
W. SCHMARJE, WANDBRUNNEN IN SARDINISCHEM GRANIT
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