DER KUNSTMARK';’
XII. Jahrgang 1914/1915 Nr. 8. 30. November 1914
Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlan gt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11a.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugspiätze teurer.
DER KUNSTHANDEL WÄHREND DES KRIEGES
Über den Kunsthandel während des Krieges sind
vielfach höchst irrige Vorstellungen verbreitet, die kürzlich
durch einen Aufsatz im »Cicerone«, der im Auszuge auch
in die Tageszeitungen überging, Bestätigung zu finden
schienen. Dort wurde an einzelne Fälle aus früherer Zeit
erinnert, an bedeutende Verschiebungen im Kunstbesitz
während und in unmittelbarer Folge kriegerischer Ereig-
nisse und von dem Riesenkampfe, der jetzt herrscht, ähn-
liche Wirkung erwartet. Diese unmittelbare Übertragung
früherer Erfahrungen auf die heutigen Verhältnisse scheint
sich aber nicht zu bewahrheiten. Vielleicht weil der
Umfang der kriegerischen Verwicklungen, die zumindest
in ihren wirtschaftlichen Folgeerscheinungen nahezu die
gesamte zivilisierte Menschheit betreffen, eine Art von
Ausgleich schafft, der einer einseitigen Abwanderung
des Kunstgutes entgegenwirkt. Jedenfalls findet die in
manchen Presseäußerungen verbreitete Meinung von einer
besonders aussichtsvollen Lage des Kunsthandels gerade
während des Krieges von Sachkennern begründeten
Widerspruch. Angebot wie Nachfrage haben so gut wie
ganz aufgehört, und man entsinnt sich keiner Zeit einer
nur annähernd ähnlichen Stille des gesamten Kunst-
handels. Die großen Pariser Kunsthandlungen sind sämt-
lich geschlossen. Da ihre Inhaber zu nicht geringem Teil
Deutsche sind, haben sie den französischen Boden verlassen
müssen und in der Schweiz Zuflucht gesucht. Wo die
Händler auf ihrem Posten geblieben sind, wie in Italien
und auch bei uns in Deutschland, da fehlen doch die
Käufer. Auch Angebote Privater erfolgen noch kaum, da
jede Norm für die Bewertung von Kunstwerken in der
jetzigen Zeitlage fehlt. Zu Notveräußerungen von Ge-
meinden liegt glücklicherweise kein Grund vor. Zudem
ist dazu die staatliche Genehmigung erforderlich, die nicht
leicht erteilt werden dürfte, wie auch in dem besetzten
Feindesland unsere Regierung auf die Erhaltung des öffent-
lichen Kunstgutes bedacht ist. So werden die Erwartungen
derer, die jetzt im Trüben zu fischen hofften, sich kaum
erfüllen; unter dem zeitweiligen Stillstand wird der
Kunstmarkt voraussichtlich weniger zu leiden haben, als
es durch eine völlige Zerstörung aller bisherigen Maßstäbe
und Grundlagen der Fall wäre, die aus massenhaften Not-
verkäufen unbedingt folgen müßte. Daß allerdings — auch
ohne Krieg — gewisse Denkmälerverschleuderungen zu
bekämpfen sind, war ja erst in unserer vorigen Nummer
ausgesprochen.
Vom amerikanischen Kunstmarkt. Die Zeitschrift
»American Art News« warnt in einem Leitartikel die ameri-
kanischen Sammler vor der falschen Ansicht, als ob sie
grade jetzt in der Lage wären, besonders wertvolle Kunst
zu außergewöhnlich billigen Preisen erstehen zu können. Es
scheint, so schreibt das Blatt, die ganz unbegründete Mei-
nung vorzuherrschen, daß, wenn man jetzt noch weiter
warte, bis der europäische Krieg mit seinen Verwüstungen
noch mehr vorangeschritten sei und demzufolge auch
der Kunsthandel in Amerika weiter niederläge, es möglich
sein würde, Werke ersten Ranges zu ganz niedrigen
Preisen zu erstehen, entweder von Privatsammlern oder von
Händlern, die durch die harte Not gezwungen werden
würden, ihre Werke zu verkaufen.
Wer so denke, vergesse offenbar, daß zahlreiche private
Sammler, besonders in Frankreich und England, veranlaßt
durch die außergewöhnlich hohen Preise, die in den letzten
Jahren von amerikanischen Sammlern und Händlern ge-
boten worden sind, bereits sich des wichtigsten Teiles
ihres Besitzes entäußert haben. Diejenigen aber, die
bisher allen Versuchungen des allmächtigen Dollars wider-
standen haben, sind auch heute in der Lage, abwarten zu
können oder haben gar nicht die Absicht, sich ihrer
Schätze zu entledigen, am allerwenigsten aber zu »Kriegs-
preisen«. Von denselben Grundsätzen werden auch die
Händler geleitet werden, die genau wissen, daß nach dem
Kriege ganz andere Preise gefordert werden können (wie
es ja auch die Zeit nach Beendigung des französisch-
deutschen Krieges von 1870/71 bewiesen hat).
Trotzdem sei jetzt eine kaum wiederkehrende günstige
Gelegenheit für einen sorgfältigen und achtsamen Kunstlieb-
haber, seine Kollektion zu vergrößern, zwar nicht zu
»Ausverkaufspreisen«, aber immerhin doch zu Preisen, die
bedeutend niedriger sind als die der letzten Jahre. Dies
um so mehr, als gerade jetzt in Amerika eine größere
Auswahl wirklich erster Stücke alter und neuer Kunst
auf dem Markte der Käufer harren.
Jeder Sammler aber müsse dringend davor gewarnt
werden, von fremden (europäischen) »Händlern« zu kaufen,
die, wie zu befürchten sei, die Vereinigten Staaten jetzt
überschwemmen werden, um mit höchst mittelmäßigen
Objekten ein Geschäft zu machen oder sogar mit Fäl-
schungen, unter der Vorspiegelung, daß diese Dinge von
notleidenden Familien in Europa herrühren, die gezwungen
seien, ihre Schätze zu veräußern; auch werden unter dem
Siegel der tiefsten Verschwiegenheit minderwertige Stücke
als »Raub aus Kathedralen, Museen usw.« angeboten werden.
Die »American Art News« raten daher allen Sammlern,
nur mit solchen Händlern in Verbindung zu treten, deren
Reellität bekannt sei.
Der Bericht über die Verkäufe der Internationalen
Münchener Kunstausstellung seit dem Jahre 1905 gibt
einige sprechende Zahlen. Demnach sind weder Belgier
noch Engländer, noch Franzosen oder Russen jemals gute
Käufer deutscher Kunst gewesen. Selbst wenn man Jahr-
zehnte zurückgeht, wird man unter den besten Käufern von
Kunstwerken nur Amerikaner, Deutsche, Österreicher und
Schweizer finden. Während Amerika zum Beispiel in einem
Jahr für 70000M., Österreich-Ungarn für 100000M., Deutsch-
land für 90000 M., die Schweiz für 32000 M. Bilder und
Kunstwerke ankaufte, kauften die Engländer in einem Jahr
für 180 M., die Franzosen für 145 M., die Belgier für 2700 M.,
die Russen für 5800 M. Bilder und Kunstwerke an. In den
letzten Jahren kauften also die jetzt feindlichen Länder nicht
halb soviel wie Deutschland, Österreich und die Schweiz
allein und sechsmal weniger als Amerika. Im ganzen sind
demnach Amerika, Deutschland, Österreich-Ungarn und die
Schweiz die besten Käufer im Glaspalast.
XII. Jahrgang 1914/1915 Nr. 8. 30. November 1914
Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlan gt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11a.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugspiätze teurer.
DER KUNSTHANDEL WÄHREND DES KRIEGES
Über den Kunsthandel während des Krieges sind
vielfach höchst irrige Vorstellungen verbreitet, die kürzlich
durch einen Aufsatz im »Cicerone«, der im Auszuge auch
in die Tageszeitungen überging, Bestätigung zu finden
schienen. Dort wurde an einzelne Fälle aus früherer Zeit
erinnert, an bedeutende Verschiebungen im Kunstbesitz
während und in unmittelbarer Folge kriegerischer Ereig-
nisse und von dem Riesenkampfe, der jetzt herrscht, ähn-
liche Wirkung erwartet. Diese unmittelbare Übertragung
früherer Erfahrungen auf die heutigen Verhältnisse scheint
sich aber nicht zu bewahrheiten. Vielleicht weil der
Umfang der kriegerischen Verwicklungen, die zumindest
in ihren wirtschaftlichen Folgeerscheinungen nahezu die
gesamte zivilisierte Menschheit betreffen, eine Art von
Ausgleich schafft, der einer einseitigen Abwanderung
des Kunstgutes entgegenwirkt. Jedenfalls findet die in
manchen Presseäußerungen verbreitete Meinung von einer
besonders aussichtsvollen Lage des Kunsthandels gerade
während des Krieges von Sachkennern begründeten
Widerspruch. Angebot wie Nachfrage haben so gut wie
ganz aufgehört, und man entsinnt sich keiner Zeit einer
nur annähernd ähnlichen Stille des gesamten Kunst-
handels. Die großen Pariser Kunsthandlungen sind sämt-
lich geschlossen. Da ihre Inhaber zu nicht geringem Teil
Deutsche sind, haben sie den französischen Boden verlassen
müssen und in der Schweiz Zuflucht gesucht. Wo die
Händler auf ihrem Posten geblieben sind, wie in Italien
und auch bei uns in Deutschland, da fehlen doch die
Käufer. Auch Angebote Privater erfolgen noch kaum, da
jede Norm für die Bewertung von Kunstwerken in der
jetzigen Zeitlage fehlt. Zu Notveräußerungen von Ge-
meinden liegt glücklicherweise kein Grund vor. Zudem
ist dazu die staatliche Genehmigung erforderlich, die nicht
leicht erteilt werden dürfte, wie auch in dem besetzten
Feindesland unsere Regierung auf die Erhaltung des öffent-
lichen Kunstgutes bedacht ist. So werden die Erwartungen
derer, die jetzt im Trüben zu fischen hofften, sich kaum
erfüllen; unter dem zeitweiligen Stillstand wird der
Kunstmarkt voraussichtlich weniger zu leiden haben, als
es durch eine völlige Zerstörung aller bisherigen Maßstäbe
und Grundlagen der Fall wäre, die aus massenhaften Not-
verkäufen unbedingt folgen müßte. Daß allerdings — auch
ohne Krieg — gewisse Denkmälerverschleuderungen zu
bekämpfen sind, war ja erst in unserer vorigen Nummer
ausgesprochen.
Vom amerikanischen Kunstmarkt. Die Zeitschrift
»American Art News« warnt in einem Leitartikel die ameri-
kanischen Sammler vor der falschen Ansicht, als ob sie
grade jetzt in der Lage wären, besonders wertvolle Kunst
zu außergewöhnlich billigen Preisen erstehen zu können. Es
scheint, so schreibt das Blatt, die ganz unbegründete Mei-
nung vorzuherrschen, daß, wenn man jetzt noch weiter
warte, bis der europäische Krieg mit seinen Verwüstungen
noch mehr vorangeschritten sei und demzufolge auch
der Kunsthandel in Amerika weiter niederläge, es möglich
sein würde, Werke ersten Ranges zu ganz niedrigen
Preisen zu erstehen, entweder von Privatsammlern oder von
Händlern, die durch die harte Not gezwungen werden
würden, ihre Werke zu verkaufen.
Wer so denke, vergesse offenbar, daß zahlreiche private
Sammler, besonders in Frankreich und England, veranlaßt
durch die außergewöhnlich hohen Preise, die in den letzten
Jahren von amerikanischen Sammlern und Händlern ge-
boten worden sind, bereits sich des wichtigsten Teiles
ihres Besitzes entäußert haben. Diejenigen aber, die
bisher allen Versuchungen des allmächtigen Dollars wider-
standen haben, sind auch heute in der Lage, abwarten zu
können oder haben gar nicht die Absicht, sich ihrer
Schätze zu entledigen, am allerwenigsten aber zu »Kriegs-
preisen«. Von denselben Grundsätzen werden auch die
Händler geleitet werden, die genau wissen, daß nach dem
Kriege ganz andere Preise gefordert werden können (wie
es ja auch die Zeit nach Beendigung des französisch-
deutschen Krieges von 1870/71 bewiesen hat).
Trotzdem sei jetzt eine kaum wiederkehrende günstige
Gelegenheit für einen sorgfältigen und achtsamen Kunstlieb-
haber, seine Kollektion zu vergrößern, zwar nicht zu
»Ausverkaufspreisen«, aber immerhin doch zu Preisen, die
bedeutend niedriger sind als die der letzten Jahre. Dies
um so mehr, als gerade jetzt in Amerika eine größere
Auswahl wirklich erster Stücke alter und neuer Kunst
auf dem Markte der Käufer harren.
Jeder Sammler aber müsse dringend davor gewarnt
werden, von fremden (europäischen) »Händlern« zu kaufen,
die, wie zu befürchten sei, die Vereinigten Staaten jetzt
überschwemmen werden, um mit höchst mittelmäßigen
Objekten ein Geschäft zu machen oder sogar mit Fäl-
schungen, unter der Vorspiegelung, daß diese Dinge von
notleidenden Familien in Europa herrühren, die gezwungen
seien, ihre Schätze zu veräußern; auch werden unter dem
Siegel der tiefsten Verschwiegenheit minderwertige Stücke
als »Raub aus Kathedralen, Museen usw.« angeboten werden.
Die »American Art News« raten daher allen Sammlern,
nur mit solchen Händlern in Verbindung zu treten, deren
Reellität bekannt sei.
Der Bericht über die Verkäufe der Internationalen
Münchener Kunstausstellung seit dem Jahre 1905 gibt
einige sprechende Zahlen. Demnach sind weder Belgier
noch Engländer, noch Franzosen oder Russen jemals gute
Käufer deutscher Kunst gewesen. Selbst wenn man Jahr-
zehnte zurückgeht, wird man unter den besten Käufern von
Kunstwerken nur Amerikaner, Deutsche, Österreicher und
Schweizer finden. Während Amerika zum Beispiel in einem
Jahr für 70000M., Österreich-Ungarn für 100000M., Deutsch-
land für 90000 M., die Schweiz für 32000 M. Bilder und
Kunstwerke ankaufte, kauften die Engländer in einem Jahr
für 180 M., die Franzosen für 145 M., die Belgier für 2700 M.,
die Russen für 5800 M. Bilder und Kunstwerke an. In den
letzten Jahren kauften also die jetzt feindlichen Länder nicht
halb soviel wie Deutschland, Österreich und die Schweiz
allein und sechsmal weniger als Amerika. Im ganzen sind
demnach Amerika, Deutschland, Österreich-Ungarn und die
Schweiz die besten Käufer im Glaspalast.