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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 6./​7.1924/​25

DOI Heft:
1./2. Oktoberheft
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Schröder, Bruno: Lebende Antiken
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https://doi.org/10.11588/diglit.25879#0054

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Lebcnde Antiken
non
Bt^uno Sebuödßt?

\\/enn der Laie aus der Kunstausstellung auf die
’ V Straße tritt, ist er verwundert, überall Bilder und
Motive, Farben und Töne zu sehen, die er unter alltäg-
lichen Umständen nicht ebenso bemerkt hätte. Die
eben betrachteten Darstellungen haben ihn sehen ge-
lehrt. Solche Eindriicke wirken auch nach, und es ist
kein Schade, wenn einer, mangels eigener Augen, die
Natur mit fremden Brillen betrachtet. Ein Museum mit
Antiken wird, bei uns wenigstens, nicht lo leicht die-
selbe Wirkung haben. Denn die Motive der antiken
Kunst sind aus dem Leben der heutigen Kulturwelt ver-
schwuuden, so gründlich haben sich Sitte, Tracht und
die geistigen Voraussetzungen der bildenden Phantasie
verändert. Nur, wenn man auf unseren Sportplätzen
Bewegungen und Stellungen der Übenden aufmerksam
betrachtet, kann man sich an antike gymnastische Dar-
stellungen e-rinnert fühlen. Wer aber in die Heimat der
Antike, nach Griechenland selber wandert, wird bald
mit Freude gewahren, daß er auf Schritt und Tritt
Antiken begegnet, denn dort lebt auch unter der moder-
nen Traclit das antike Mensclientum weiter. Zumal
auf den Inseln hat sich das alte Griechenblut reiner er-
halten als auf dem von Albanesen besiedelten Festlande,
und da muß es jedem auffallen, wie sehr die Gesichts-
bildung und die Art, den Körper zu bewegen und zu
halten der Erscheinung des Menschen in der antiken
Kunst gleicht. Immer wieder trifft man, zumal bei
jugendlichen Personen, dieselbe plastische Bildung des
Gesichts mit seiner geraden Nase, dem scharf umrisse-
nen Munde, den schön geschwungenen Brauen und den
schwarzen, glänzenden Augen (Abb. 1).
Auch viele Sitten und Gebräuche haben sicli aus
dem Altertum erhalten, und damit wiederholen sich
aucli viele Motive, die einst den Künstlern Stoff zur
Beobachtung und Nachbildung geboten haben.
Als es mir vor kurzem vergönnt war, Griechenland
wiederzusehen, war gerade Osterzeit, und manches
Osterlamm wurde seiner Bestimmung, als Festschmaus
zu dienen zugeführt. Da sah man auf den Straßen junge
Burschen mit den Tieren auf den Schultern, genau, wie
es im Altertum oft dargestellt worden ist. Fromme
Herdenbesitzer ließen sich so abbilden und stifteten das
Bild in ein Heiligtum, um sich uud ihre Herde dem
Schutz der Gottheit zu empfehlen. Dieser Typus be-
deutet unter den vielen Möglichkeiten, Tier und Mensch
plastisch zu verbindeu, eine der am festesten zusam-
mengeschlossenen Gruppen; er ist daher der archa-
ischen Kunst besonders angemessen. Der Kalbträger
von der Akropolis und die hier abgebildete Berliner
Statuette gehören mit in die Reihe. Ein Meister aus
der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts, Kalamis,
hat noch so den Hermes als Kriophoros, mit dem Wid-
der auf den Schultern dargestellt. Dann verschwindet

das Motiv; erst in der frühchristlichen Kunst erscheint
es als ,,Guter Hirt“ wieder (Abb. 2).
Aus jüngerer Zeit als dieser altertümlich gebundene
Typus, nämlich aus der Blütezeit gymnastischen Lebens
und seiner Verherrlichung durch die bildende Kunst,
stammen die bildlichen Typen von Jünglingen, die sich
die Siegerbinde um das Haupt schlingen. Eins der
berühmtesten der Art war der Diadumenos des Poly-
kleitos. Ich bilde hier ein weniger auf Wirkung hin ge-
arbeitetes Stück ab, eine Erzfigur des Berliner Muse-
ums, an die ich auf Kreta erinnert wurde (Abb. 3). Dort
tragen die Männer ein zusammengerolltes farbiges Tuch
um den Kopf gewunden. Wenn sie es umlegen oder,
falls es sich gelockert hat, frisch befestigen, so ergibt
die gleiche Verrichtung das gleiche Motiv, wie bei den
antiken Diadumenoi. Die Arme werden zum Kopf er-
hoben, die Hände ziehen die Enden an und schlingen den
Knoten, und mit einigen Griffen werden die Zipfel unter-
gesteckt. Und dann ist es oft prächtig zu sehen, wie
die schwarzen Locken unter und über dem Tuch her-
vorquellen; so schneidet auch bei dem polykleitischen
Sieger die Binde tief in die volle Haarmasse ein.
Unter den Gelehrten wird noch gestritten, welcher
Zeit der Dornauszieher, das berühmte Erzbild des ka-
pitolinischen Museums, angehört. Man hat früher all-
gemein geglaubt, es müsse in der ersten ITälfte des ftinf-


Abb. 1

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