DOI Heft:
Heft 19 (1. Juliheft 1911)
DOI Artikel:Lose Blätter
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.9019#0041
Fand ich arn Ende eines jeden Wegs
Denselben Wächter, daß ich schaudernd floh.
Stolz, Ehrgeiz, Lüge, Wollust, Haß und Aeid,
Iedwede Leidenschaft trug meine Züge
Und schreckte mich. Auch Gram und Liebesleid,
Auch blasse Reue mit verquälten Seufzern
And Wahnsinn mit erloschnen blöden Augen.
Soviel der Tore, soviel Hüter grinsten
Mit einem lautlosen Zurück mich an.
Dann aber fand ich einen scheuen Iungen,
Dem deckte Scham die weichen Wangen, als er
Mich kommen sah, und seine Miene sprach
Fast demutvoll: Verzeih, daß ich hier stehe.
Da faßte Wut mich: Fratze, bist du ich?
Feigling, Erbärmling, gib mir Raum. Und jäh
Schoß tieferer Purpur über seine Schläfen,
Und seine Augen hob er meinem Schimpf
Verwirrt entgegen. Und ich hob die Faust.
Da fiel er totenblaß mir in den Arm,
Und seine Augen riefen, schrien: Schlag nicht!
Ich aber, zornig, rang mit ihm, und rang
Drei Tage und drei Nächte lang und warf
Ihn nicht und ließ erschöpft von ihm und wich
Schrittweis und Blick in Blick. Der seine war
Voll stillen Vorwurfs und verstörter Scham.
Nnd ich verkroch mich unter einen Busch,
And meine Wächter folgten mir und spähten
Aufdringlich durch das schwarze Laub und quälten mich.
Schweigen
-^un um mich her die Schattsn steigen,
"»'Stellst du dich ein, willkommenes Schweigen,
Du, aller tiefsten Sehnsucht wert.
Sehr hab ich unter LLrm nnd Last
Des Tags nach dir, du scheuer Gast,
Wie einem licben Freund begehrt.
Das wirre Leben ist verklungen,
In Höhen ging und Niederungen
Längst jeder laute Schall zur Ruh.
Urstimmen, die der Tag verschlang,
Erklingen, mhstischer Gesang —
Ia, süßes Schweigen, rede du.
h Iuliheft M
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Denselben Wächter, daß ich schaudernd floh.
Stolz, Ehrgeiz, Lüge, Wollust, Haß und Aeid,
Iedwede Leidenschaft trug meine Züge
Und schreckte mich. Auch Gram und Liebesleid,
Auch blasse Reue mit verquälten Seufzern
And Wahnsinn mit erloschnen blöden Augen.
Soviel der Tore, soviel Hüter grinsten
Mit einem lautlosen Zurück mich an.
Dann aber fand ich einen scheuen Iungen,
Dem deckte Scham die weichen Wangen, als er
Mich kommen sah, und seine Miene sprach
Fast demutvoll: Verzeih, daß ich hier stehe.
Da faßte Wut mich: Fratze, bist du ich?
Feigling, Erbärmling, gib mir Raum. Und jäh
Schoß tieferer Purpur über seine Schläfen,
Und seine Augen hob er meinem Schimpf
Verwirrt entgegen. Und ich hob die Faust.
Da fiel er totenblaß mir in den Arm,
Und seine Augen riefen, schrien: Schlag nicht!
Ich aber, zornig, rang mit ihm, und rang
Drei Tage und drei Nächte lang und warf
Ihn nicht und ließ erschöpft von ihm und wich
Schrittweis und Blick in Blick. Der seine war
Voll stillen Vorwurfs und verstörter Scham.
Nnd ich verkroch mich unter einen Busch,
And meine Wächter folgten mir und spähten
Aufdringlich durch das schwarze Laub und quälten mich.
Schweigen
-^un um mich her die Schattsn steigen,
"»'Stellst du dich ein, willkommenes Schweigen,
Du, aller tiefsten Sehnsucht wert.
Sehr hab ich unter LLrm nnd Last
Des Tags nach dir, du scheuer Gast,
Wie einem licben Freund begehrt.
Das wirre Leben ist verklungen,
In Höhen ging und Niederungen
Längst jeder laute Schall zur Ruh.
Urstimmen, die der Tag verschlang,
Erklingen, mhstischer Gesang —
Ia, süßes Schweigen, rede du.
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