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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,4.1911

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Heft 20 (2. Juliheft 1911)
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Stolterfoth, ...: Kunsterzieherpraxis
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https://doi.org/10.11588/diglit.9019#0091
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Iahrg. 24 Zweites Iuliheft 1911 Heft 2O

Kunsterzieherpraxis

ie neue Kiellandausgabe im Verlage von Merseburger in Leipzig *
^bringt in einem Nachlesebändchen allerlei kleinere Skizzen und
Aufsätze von sehr verschiedenem Wert. Darunter ist ein Aufsatz
über „Kunst und Kunstsinn", der so sehr das Thema des Kunstwarts
aufnimmt und es so sehr in unserm Sinne löst, daß seine praktischen
Anregungen unter uns besonders willige Hörer finden werden.

In einem kleinen und von der großen Bewegung des europäischen
Lebens entfernten Lande wie Norwegen entzieht sich die Entwicklung
der darstellenden Künste dem allgemeinen Verständnis fast ganz. Das
gilt besonders von der Malerei, die sich stets in einer starken Ent--
wicklung befindet und daher für historisch Uneingeweihte ein ständig
wechselndes Gesicht zeigt. Im großen volkreichen Ausland, wo eine
ungeheure Masse von Bildern an den Menschen vorüberzieht, ge--
wöhnt sich das Auge leichter an das Weiterschreiten. Die Wellen
werden gleichsam länger, die Steigungen weniger steil. In Nor-
wegen fehlt aller klärende und vorbereitende Äbergang. Die wenigen
Künstler, die Norwegen in den Kampf aussendet, kehren zurück alle--
mal mit „der einzigen Kunst, die des Sehens wert sei"; dahinter sei
nichts als ein tiefes Loch. Währenddessen sind diejenigen, welche mit
Lust und Freude sich bisher um die Kunst gekümmert haben, gerade
bis an dies große Loch gekommen, um nun zu hören, daß sie durch--
aus lächerlich seien mit ihrem vorgeblichen Kunstverständnis.

„Dann lassen sich einige abschrecken und verbergen ihre stille
Schwärmerei für Mondschein und italienische Mädchen tief in ihrem
Innern; andere greifen zum Schwert und wüten gegen das Neue
an, indem sie den klexenden Malern ein Ende mit Schrecken pro-
phezeien. Aber die meisten werden verwirrt und ermatten ... sie
kommen nicht soweit, daß der Genuß der Kunst sie berührt. Die Un--
klarheit läßt sie ihre Ohren bald hierhin, bald dorthin wenden, um
zu hören; während ihre zwei guten Augen ihnen nichts zu erzählen
wissen." Die wenigen aber, mit denen es den Künstlern glückt, und
denen sie die große Verachtung und den ganzen Iargon beibringen,
sind in ihrem wirklichen Kunstsinn dadurch auch nicht gefördert und
zeigen das bald.

Das sei Mangel an Kunstsinn, sagt man dann, während es in
Wirklichkeit nur Mangel an Erfahrung ist. Der eigentliche Fehler
ist, daß die Künstler selbst diese Erfahrung nicht haben. Sie kennen
nur ihre allein wahre Kunst und außerdem das große Loch mit dem
„Schund". Währenddessen handelt es sich gerade darum, sich durch
ausreichende Erfahrung eine Einsicht in den relativen Wert aller
Stufen der Entwicklung und also auch der neuesten zu verschaffen.
Nur so kann man zu einer wirklichen Entwicklung des Kunstsinnes

* 6 Bände. Die Ausgabe sei bei dieser Gelegcnheit sehr empfohlen. Der
Kunstwart kommt wohl noch auf sie zurück. D. Verf.

^2. Iuliheft M 61^1
 
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