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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,4.1911

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Heft 24 (2. Septemberheft 1911)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9019#0422
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Lose Blätter

Aus Zakob Knudsens Dichtungen

Aus der Erzählung „Der alte Pfarrer"

fDer Graf hat soeben einen Lumpen, der des Grafen junge Tochter
notzüchtigen wollte, totgeschlagen. Es ist noch fraglich, ob der Vorgang
geheim gehalten werden kann. Der Pfarrer wünscht es, der Graf glanbt
es nicht zu können. Die Gräfin Mathilde ist krank nnd muß geschont
werden.^

O

^^^.farrer Lastbierg ging auf die Tür zn, drehte sich dann jedoch nm
^und sagte: „Kennt jemand außer Ihnen den wahren Sachverhalt?"

^^^„Der Hofjunge Christian."

„Das macht nichts. Wir müssen ihm auch erlauben, daß er's seiner
Mutter sagt; es wäre unrecht, ihm das zu verbieten. Seine Mutter muß
die Erlaubnis bekommen, es ihren nahen Verwandten im Ostdorf zu
sagen, sonst hat sie nicht die Kraft, es zu tragen. Aber in jenem Kreis
wird es ersterben. Die Leute sind ebenso zuverlässig wie vorsichtig."

„Ich werde es nicht verschweigen können. Das merke ich deutlich. Es
wird mir unmöglich sein!"

„Sie müssen schweigen! Sie müssen leugnen! Ich befehle es Ihnen
im Namen Gottes! Es mnß geheimgehalten werden, solange Sie leben."

Der Pfarrer drehte den Schlüssel znrück und verließ die Stube.

Er mußte bis in die Küche gehen, die in dem mit dem Wohnhause
zusammengebauten Ostflügel lag, sagte der Haushälterin Bescheid und
übergab ihr den Brief.

Dann ging er langsam und zandernd durch die vielen Zimmer des
Wohnhauses zurück.

Auf dem dunkelgefirnißten Fußboden des Saales schwebten die
Sonnenflecke noch hin und her, aber sie waren etwas blasser und
abendlich wehmütiger geworden als bei seinem Gange vorhin. Eine
Weile blieb er stehen, betrachtete sie nnd fühlte sich beglückt und frei
von allem Zeitlichen; denn er ruhte aus in der wundersam befreienden
seelischen Stille, die er für das Ewige hier auf Erden ansah und die
er Glauben nannte. In den letzten Iahren war es gewöhnlich die Sehn-
sucht nach den geliebten Toten gewesen, die ihn in diese Stille hinein?
trieb; aber in diesem Augenblick fühlte er sich nicht nur von allem
irdischen Schmerz des Erdenlebens befreit und erlöst, sondern auch von
allen Fesseln des Erdenlebens, von den engen Schranken und Regeln,
Er ruhte aus vor Gott. Wie gesegnet war dieser Ort! Wie gesegnet war
dieses sein Haus, das Heim seiner Kindheit! Nun aber kam Gott hierher
zu ihm in die Stille und rüttelte ihn und zwang ihn zum Kampfe und
zur plötzlichen Entscheidung.

„Du Ewiger! Du Ewiger!" sagte der Pfarrer halblaut vor sich hin.
In diesem Augenblick war ihm, als hätte er gar kein Alter mehr; er
war eher zehn als siebzig Iahre alt oder ebensowenig das eine wie das
andere.

Aoch einmal blickte er sich um in dieser friedlichen, für ihn so er-

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Kunstwart XXIV,
 
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