innerungsreichen Stube mit den hin und her gleitenden Sonnenflecken.
Dann setzte er seine Wanderung fort, überzeugt, daß jetzt er die ganze
Sache in die Hand nehmen müsse, weil er die Macht dazu besaß. Auf
der Diele schob er den Riegel vor die Flurtür, damit ihn und den
Grafen während ihrer Unterredung niemand überraschen sollte. Vor
allem wollte er nun den Grafen beruhigen, damit dieser sich in der
Verwirrung nicht verriete und das Unglück noch größer machte. Er
nahm scine Tasse mit Tee, die er vorhin draußen auf dem Lisch hatte
stehcn lassen, und ging damit ins Studierzimmer.
„Ich habe vor Schreck meinen Tee im Gang stehen lassen, als ich
Sie vorhin auf den Hof kommen sah, Tod und Teufel auf den Fersen",
sagte er zum Grafen, während er die Tasse auf seine Schatulle setzte.
„Aber jetzt wollen wir die ganze Sache ruhig betrachten und uns
Zeit zur Äberlegung gönnen. Ich möchte Sie ungern von mir fort-
lassen, bevor ich Sie still und gefaßt sehe, so daß sie wirklich vernünftig
handeln können."
„Das wird kaum etwas nützen, Pastor Lastbierg. Ich kann auf die
Dauer nicht lügen. Zwar sehe ich, daß ich mich jetzt der Gräfin ge-
genüber dazu gezwungen habe, als sie dalag und vor meinen Augen
beinahe erstickt wäre vor Angst; aber sobald sie gesünder wird und die
Gefahr uicht mehr so drohend ist, kann ich es nicht mehr — und ich
kann nicht lügen fremden Leuten gegenüber, die ich verachte — «
„Wenn Sie das buchstäblich nicht können, dann — ja, dann ist
nichts zu machen; aber ich möchte das nicht glauben. Bedenken Sie
doch: Wenn es zum Prozeß kommt und Sie wie ein gewöhnlicher Ver-
brecher verurteilt werden, so ist das gleichbedeutend damit, daß Sie
Ihrs Frau töten und Ihre Kinder unglücklich machen. Sobald wir
merken, daß Ihre Frau es ertragen kann, die Wahrheit zu hören,
wollen wir sie ihr mitteilen; Ihre Feinde aber dürfen sie nie er-
fahren.«
„Wenn sie sie wenigstens erfahren darf!-Aber ich habe Furcht
vor mir selbst. Es wird einfach aus mir hervorbrechen andern gegen-
über, — zum Beispiel meinen Eltern werd ich es sagen, sobald ich sie
sehe, ehe ich mich dessen versehe, und ohne daß ich mich beherrschen
kann. Ach, Pastor Castbierg, ist es nicht auch ein Unrecht, zu schweigen?
Haben Sie den Mut, die Verantwortung auf sich zu nehmen?"
„Den Mut hab ich allerdings. Und ich versichere Ihnen, Graf Lrolle,
daß Sie eine große Sünde begehen, wenn Sie einem Fremden die Wahr-
heit offenbaren."
„Line Sünde? Eine Sünde? Kann ich das denn glauben? Wird
sie weiterleben können, wcrde ich mit gutem Gewissen weiterleben können?
Herr Gott! Pastor Castbierg, haben Sie den Mut, die Verantwortung
dafür auf sich zu nehmen?"
„Ia, lassen Sie mich die Verantwortung tragen, bis Sie selbst die
Ruhe und Kraft dazu gewinnen. Falls Sie aber diese Stärke niemals
erlangen, will ich die Verantwortung tragen, so lange ich lebe, und will
sie bis vor Gottes Thron mit mir nehmen."
„Aber Sie müssen mir erlauben, mit Ihnen darüber zu reden, so
oft es seiu soll, so oft ich mich dadurch verwirrt fühle. Mathilde, es
geschieht um d e i u e t w i l l e n!"
2. Septemberheft Wi
Dann setzte er seine Wanderung fort, überzeugt, daß jetzt er die ganze
Sache in die Hand nehmen müsse, weil er die Macht dazu besaß. Auf
der Diele schob er den Riegel vor die Flurtür, damit ihn und den
Grafen während ihrer Unterredung niemand überraschen sollte. Vor
allem wollte er nun den Grafen beruhigen, damit dieser sich in der
Verwirrung nicht verriete und das Unglück noch größer machte. Er
nahm scine Tasse mit Tee, die er vorhin draußen auf dem Lisch hatte
stehcn lassen, und ging damit ins Studierzimmer.
„Ich habe vor Schreck meinen Tee im Gang stehen lassen, als ich
Sie vorhin auf den Hof kommen sah, Tod und Teufel auf den Fersen",
sagte er zum Grafen, während er die Tasse auf seine Schatulle setzte.
„Aber jetzt wollen wir die ganze Sache ruhig betrachten und uns
Zeit zur Äberlegung gönnen. Ich möchte Sie ungern von mir fort-
lassen, bevor ich Sie still und gefaßt sehe, so daß sie wirklich vernünftig
handeln können."
„Das wird kaum etwas nützen, Pastor Lastbierg. Ich kann auf die
Dauer nicht lügen. Zwar sehe ich, daß ich mich jetzt der Gräfin ge-
genüber dazu gezwungen habe, als sie dalag und vor meinen Augen
beinahe erstickt wäre vor Angst; aber sobald sie gesünder wird und die
Gefahr uicht mehr so drohend ist, kann ich es nicht mehr — und ich
kann nicht lügen fremden Leuten gegenüber, die ich verachte — «
„Wenn Sie das buchstäblich nicht können, dann — ja, dann ist
nichts zu machen; aber ich möchte das nicht glauben. Bedenken Sie
doch: Wenn es zum Prozeß kommt und Sie wie ein gewöhnlicher Ver-
brecher verurteilt werden, so ist das gleichbedeutend damit, daß Sie
Ihrs Frau töten und Ihre Kinder unglücklich machen. Sobald wir
merken, daß Ihre Frau es ertragen kann, die Wahrheit zu hören,
wollen wir sie ihr mitteilen; Ihre Feinde aber dürfen sie nie er-
fahren.«
„Wenn sie sie wenigstens erfahren darf!-Aber ich habe Furcht
vor mir selbst. Es wird einfach aus mir hervorbrechen andern gegen-
über, — zum Beispiel meinen Eltern werd ich es sagen, sobald ich sie
sehe, ehe ich mich dessen versehe, und ohne daß ich mich beherrschen
kann. Ach, Pastor Castbierg, ist es nicht auch ein Unrecht, zu schweigen?
Haben Sie den Mut, die Verantwortung auf sich zu nehmen?"
„Den Mut hab ich allerdings. Und ich versichere Ihnen, Graf Lrolle,
daß Sie eine große Sünde begehen, wenn Sie einem Fremden die Wahr-
heit offenbaren."
„Line Sünde? Eine Sünde? Kann ich das denn glauben? Wird
sie weiterleben können, wcrde ich mit gutem Gewissen weiterleben können?
Herr Gott! Pastor Castbierg, haben Sie den Mut, die Verantwortung
dafür auf sich zu nehmen?"
„Ia, lassen Sie mich die Verantwortung tragen, bis Sie selbst die
Ruhe und Kraft dazu gewinnen. Falls Sie aber diese Stärke niemals
erlangen, will ich die Verantwortung tragen, so lange ich lebe, und will
sie bis vor Gottes Thron mit mir nehmen."
„Aber Sie müssen mir erlauben, mit Ihnen darüber zu reden, so
oft es seiu soll, so oft ich mich dadurch verwirrt fühle. Mathilde, es
geschieht um d e i u e t w i l l e n!"
2. Septemberheft Wi