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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,4.1911

DOI issue:
Heft 24 (2. Septemberheft 1911)
DOI article:
Avenarius, Ferdinand: Von Kulturparlamenten und dergleichen
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https://doi.org/10.11588/diglit.9019#0405
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I Iahrg.24 Zweites Septemberheft 1911 Heft 24

Von Kulturparlamenten und dergleichen

nsre Väter waren schon sast gottergeben darern: Geld beherrscht
^ E die Welt. Realisten, wie sie zu sein glanbten. Nun mehren

sich, die einsehen: es waren gar keine Realisten, die so dachten,
es geht so nicht. Ls sind zu viele Kräfte in der Welt, die nicht
mitexerzieren, wenn das Geld kommandiert. Die abschwenken aus
der Front und mit keinem Zwang und keiner goldenen Trompete
wieder heranzuholen sind. Kräfte, die wirkliche Werte sind, weil
sie wirken, Kräfte, mit denen deshalb gerade der Realist sich wieder
gewöhnen muß, zu rechnen.

Liner der Weltregierer war das Geld von je, der Hauptregierer
war es nicht jederzeit, einer der Mitregierer muß es wohl bleiben, der
Hauptherr zu bleiben braucht es nicht. And darf es nicht, weil die
reine Geldherrschaft nicht nur der Volkswirtschaft mit geistigen Gütern,
sondern jeder Volkswirtschaft zuwiderläuft, denn die geistigen Werte
sind ja doch wieder die eigentlichen Schöpfer oder tzeranholer auch der
materiellen Werte. Ia: wir leben noch in der Zeit des Unsinns, der
auch die geistigen Güter nach ihrem Tagesmarktwerte bezahlt. Ia: wir
bezahlen die Wissenschaft, wir bezahlen die Kunst, wir bezahlen die
Geistesarbeit jeder Art nach dem, was sie heute an Geldeswert gilt,
und je nach dem, ob sie gerade für irgendwen Tagesmarktwert hat. Für
welchen „irgendwen"? Für Interessenten oder Interessentengruppen,
die sie bezahlen. Und also: Interessenten, die ihre Arbeit unfrei
machen und nach ihren Wünschen wohl gar vom Ziele ablenken.
Dreimal ja: es i st so. Oder wirken wir etwa mit allen Mitteln dahin,
daß geistige Arbeit nicht die Werte mache, die heut schon marktgängig
sind, sondern die, welche sich aus der Entwicklung des Heute als Vor-
bildungen des Morgen herausringen und deshalb, ob heute noch un-
beachtet, doch wohl die sein werden, die vorwärts bringen? Man denke
an unser Urheberrecht, das die Denker, Dichter und Künstler genau wie
die Eier- und Butterhändler nach der Nachfrage auf dem Markt bezahlt
und ganz im eigentlichen Sinne verrückt ist, nämlich in sich konsequent
geordnet unter einer fixen Idee. Und an die verblüffte Verständnis-
losigkeit oben und unten im Reich, wenn der zwanzigste Teil von dem,
was ein Panzerschiff kostet, als Grundlage einer Volkswirtschaft der
nationalen Geisteskräfte verlangt wird. Wir pflegen den kranken
Säugling und hegen den ermatteten Greis, aber mit den lebendigsten
Schöpferkräften des Volkes wüsten wir, wenn sie nicht zufällig für
irgendwen Geldwert haben. Denn immer wieder: der Markt von
heute, heute, heute ist's, der auch den Geistesgütern die Preise be-
stimmt und die Geistesarbeiter in seinen Dienst zwingt. Die Zauber-
wurzel, die morgen vielleicht Quellen findet und Schlösser sprengt,
mag heute wie eine Pferderübe bezahlt werden. Arbeitet ihr, die
ihr ins Morgen seht, daß man pflege, daß man wenigstens erhalte,
daß man zum allermindesten nicht töte das, dessen Werte dort liegen!

Gedanken wie diese sind unsern Lesern altvertraut. Ebenso ist es der

2. Septemberheft Wi 325
 
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