Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,4.1911

DOI Heft:
Heft 24 (2. Septemberheft 1911)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Von Kulturparlamenten und dergleichen
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.9019#0406
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Ruf nach „Organisation des Publikums", den ein kaum noch Gekann-
ter, Adolf Voigt, an dieser Stelle vor nun zwanzig Iahren zum ersten
Male erhoben hat. * Ebenso sind es unsre agitatorischen Bemühungen,
wie die um einen »Arheberschatz", und unsre praktischen Versuche. Aber
wir standen ja nie allein und stehen das jedes Iahr weniger. Sätze,
wie die eben gesprochenen und manche andre, die im Kunstwart Ge-
sagtes abwandeln, ohne, scheint's, von ihm angeregt zu sein, finden
unsre Leser jetzt wieder zu Dutzenden in Viktor Huebers Schrift „Die
Organisierung der Intelligenz",** die als eine Vorbereitung zum prak-
tischen Versuche solcher Organisation im großen gedacht ist. Man hat
ihr hundertfach zugestimmt. Es ist jetzt schon so weit, daß neben die
Frage der den Willen erregenden Agitation in weiten Kreisen die
Mahnung zur Zurückhaltuug treten muß, damit sich die Kräfte uicht in
Feuerwerk verpuffen, die Massen zu bewegen habeu.

Aus dem Widerwillen an unsern politischen Zuständen, vor allem:
aus dem Widerwillen an unserm Parlamentstreiben heraus hat vor
eiuigen Monaten Wilhelm Schwaner an alle „Kulturbündler" den
Aufruf gerichtet, bei der nächsten Reichstags-Hauptwahl überall dort
mit einem Stimmzettel für den Grasen Posadowsky zu demonstrieren,
wo dadurch nicht die Wahl eines nationalen Kulturkandidaten gefähr-
det würde. Schwaner nannte an erster Stelle die „Kunstwartleute" als
solche, an die er sich wendete. Daß wir im Parlamente mehr und be-
deutendere Vertreter der Kulturiuteressen wünschen, und daß auch
wir den Grafen Posadowsky für einen der berufensten zu solcher Arbeit
halten, das braucht keiner Worte. Wenn aber Schwaner meint, eine
Demonstration für ihn würde dem Ziel mittelbar nützen, weil sie
Eindruck machen würde, so fürchte ich, irrt er da. Nicht deshalb,
weil die Leute, die er zusammenruft, ein aus recht verschiedenfarbigen
Stoffen buntes Bild ergäben. Aus wertvolleren und weniger wert-
vollen Gruppen setzen sich alle abstimmenden Körper zusammen, und
wenn die von Schwaner aufgerufenen allesamt für Posadowsky ein-
träten, so wäre der Gesamteindruck immerhin: soundso viel Leute sind
also da, die keine reine Interessen- und Fraktionspolitik wollen.
Aber sie träten nicht alle für ihn eiu. Sehr viele würden sich
sagen: heute gilt's, die Wahl dieses besonderen Politikers zu
erreichen, der, mindestens, das kleinere Äbel unter den beiden
bedeutet, die überhaupt zur Wahl stehen — wenn du abseit de-
monstrierst, kommt also möglicherweise das größere Äbel zur
Macht. „Momentane" Verluste muß man in Kauf uehmen? So denkt
Schwaner, aber so denkt ganz sicherlich unter den heutigen Verhältnissen
die große Mehrheit auch der „Kulturbündler" nicht. Ob mit Recht
oder Aurecht, kommt kaum in Betracht, Politik ist die Wissenschaft
vom Möglichen, rechnen wir mit den Tatsachen. Das Ergebnis
wäre, daß Posadowsky viel w e n i g e r S t i m m e n erhielte, als Män-
ner zu ihm stehn. And für die Regierungen und die Leute der Frak-

* „Organisation des Pnblikums", Leiter im ersten Märzheft lShj, von
Adolf Voigt. Vom Ärheberschatz usw. finden die Leser manches aus dem
Kunstwart zusammengestellt in der 65. Flugschrift des Dürerbundes.

** Im Verlage von Ioh. Ambr. Barth in Leipzig.

226 Knnstwart XXIV, 2H
 
Annotationen