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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,4.1911

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Heft 21 (1. Augustheft 1911)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9019#0193
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Rundschau

„Die Brücke"

uter diesem Namen hat Wil-
helm Ostwald ein Unternehmen
ins Dasein gerufen, dem auch alle
die Beifall und Unterstützung geben
werden, die mit den sonstigen uni-
versalistischen Bestrebungen des be-
rühmten Ehemikers nicht durchweg
einverstanden sind. Die Tendenz des
Unternehmens ist mit einem Worte
gekennzeichnet: es ist Organi-
sationder geistigenArbeit
im allergrößten Stil, was da ange-
strebt wird — eine Tendenz also,
die, ihrem ganzen Wesen nach, den
Beifall und die Liebe eines jeden
Anhängers der Kunstwartbestrebun-
gen haben wird. Unter Organisation
der geistigen Arbeit nämlich will
Ostwald verstanden wissen die tun-
liche Ausschaltung aller
Vergeudung edler geisti-
ger Kraft, deren Vergsudung da-
durch geschieht, daß ihr ein unange-
messener Gegenstand gegeben wird.
Von solcher Vergeudung wissen ge-
rade wir Deutschen ein Lied zu sin-
gcn — wir Deutschen, bei denen ein
Staatssekretär auch Kanzlistenarbei-
ten machen muß, bei denen, in
den Staatsprüfungen, Gelehrte von
Weltruf die Antworten der an-
gehenden Schulamtskandidaten zu
protokollieren haben; wir Deut-
schen, die wir mit dem Genie eines
Hermann Graßmann nicht mchr an-
zufangen wußten, als dies: ihn
Untertertianern den pythagoreischen
Lehrsatz — nicht beibringen zu
lassen. Aber, ich bin dabei, ein
Mißverständnis über die Sache
hervorzurufen, für die ich werben
möchte. Nicht so hoher Amter (mit
Nanke zu reden) unterwindet sich die
„Brücke", Gewohnheiten und Sün-
den, wie die eben gerügten aus-
zurotten; ihr Programm ist vor-

(. Augustheft Wi

läufig enger und daher aussichts-
voller. Sie knüpft an die unan-
genehmste Erfahrung des Geistes-
arbeiters an, die in Vischerscher
Formulierung die ist, daß man drei
Vierteile seines Daseins „ver-
suchen" (das ist mit unnötigem
Suchen hinbringen) muß. Dies
Suchen kann zweierlei betreffen, ob°
jektive und subjektive Daten. Die
objektiven können mannigfaltiger
Natur sein; wen hätte nicht schon
ein unauffindbarer Buchtitel, eine
vergessene Adresse, ein verschollener
Name bis zum grimmigsten Kopf-
schmerz gequält? Hier will die
„Brücke" das sein, was ihr Name
sagt, und zwar zwischen dem Sucher
und seinem Gegenstand. Sie wird
dies vermögen dadurch, daß sie selbst
mit einem umfangreichen Nachweis-
apparat wird ausgestattet sein, daß
sie mit allen schon bestehenden Aus-
kunftinstituten zusammenarbeitet,
daß sie genau Bescheid weiß über
die Spezialbeschäftigungen aller
namhaften Geistesarbeiter der
Gegenwart, so daß man also auch
in ganz verzwickt liegenden Fällen
sogleich vor die richtige Schmiede
kommt. Die vermißten subjek-
tiven Daten sind immer einer
Art: sie sind die eigentlichen gei-
stigen Objektteufel. Es ist nahezu
gewiß, daß, wenn man in der pro-
duktivsten Stimmung ist, aber, sie
in ein Ergebnis umzusetzen, irgend-
eine Aotiz braucht, daß dann, sage
ich, die Notiz genau in dem Mo-
ment auftaucht, in dem die Lust
zur Produktion dem nachhaltigen
Bedürfnis Platz gemacht hat, an
irgendeinem Gegenstand die durch
stundenlanges vergebliches Suchen
aufgespeicherte Wut auszulassen.
Linem solchen supplieium, wie
abermals Vischer sagen würde, will

(5(

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