doch überwinden. So schwer wie Danle ist keiner von unsern Dichtern,
und doch ist Dante bei seiner Nation in die untersten Volksschichten
gedrungen. Wenn man dem Volk in seiner geistigen Vereinsamung
helfen will, so soll man es auf die großen Dichter hinweisen und
soll ihm sagen, daß es die Arbeit auf sie verwenden muß, die seine
tüchtigen Vorfahren auf die Bibel verwendet haben. Sollte nicht
in dem Verdüsterten Geist eines Fabrikarbeiters ein Strahl gött-
lichen Trostes fallen, wenn er Iphigenie gefaßt hätte, sollte es nicht
eine Befreiung von seiner Not sein, wenn er Minna von Barnhelm
verstände? Er kann es, wenn man es ihm sagt, und wenn man ihn
nicht mit dem albernen Lesestoff der müßigen Glieder des ungebildeten
Mittelstandes verdummt. Paul Ernst
Lose Blätter
Aus Peter Egges Dichtungen
fSchon vor etwa zehn Iahren kam das erste Bnch Egges im Deutschen
heraus. Es machte sich im Strom der ganzen Literatur nicht recht geltend,
was man heute wohl besser versteht, da so viele skandinavische Bücher in
Deutschland bekannt geworden sind, die jenes in seiner stammhaften Eigen-
art gleichsam mit erklären und wiederum seiue besondern Feinheiten
zu würdigen erlauben. Dies Buch, es heißt „Gammelholm",* beginnt
ganz langsam, mit der Vorstellung eines Ortes von anscheinend sehr
gleichgültigen Eigenschaften; es wirkt ermüdend wie ein träge schleichender
Strom. Gerade diese Schwerbeweglichkeit der dichterischen Vorstellungs-
massen, die sich allmählich nur unter dem Antrieb der Schaffenslust uud
-not bewegen, wie sich das Meer im Winde wiegt, seltsam anzuseheu
und unendlich vielfältig, bevor der Sturm dann die Aufmerksamkeit
verengen wird und einbannen, — gerade diese Lust, das innere Schauen
einmal in aller Breite mit jenen zahlloseu kleinen Alltagzügen, Stim-
mungen und Erinnerungen vor dem Leser auszubreiten, haben wir
nun oft bei den Skandinaven gefunden. Sie trinken sich gern so recht
satt am ruhenden Weltbild, und sie verwenden diese Fähigkeit künstlerisch
oft, um Stimmung zu machen, um Milieu zu geben, um Ruhepunkte
zwischen den Hochspannungen der Erzählung zu besetzen. Erinnert man sich
des Bildes der winterlichen Kleinstadt aus „Ragni", das im Björnsonheft
des Kunstwarts abgedruckt war? Oder des Eingangs von Per Hallströms
„Frühling"? Oder an Iacobsens „Frau Fönß"? Nicht zu redeu von
Selma Lagerlöf, die nahezu etwas Ausschweifendes nach dieser Richtung
betätigt. Äberschaut man vergleichend ein wenig die gleichzeitige deutsche
Dichtung — deren Bücher einander allerdings noch weniger ähnlich
sehen, als die immerhin genügend verschiedenartigen nordischen — so
vermißt man dieses Element fast völlig. Ia, es geht manchmal auch
bei uns langsam. Aber nicht aus Fülle der Gesichte, sondern aus Um-
* Verlag Albert Langen, München; die übrigen Werke Egges, aus
denen die folgenden Proben entnommen sind, erschienen alle deutsch im
Verlag Haupt und Hammon, Leipzig.
s- Augustheft Vst 133
und doch ist Dante bei seiner Nation in die untersten Volksschichten
gedrungen. Wenn man dem Volk in seiner geistigen Vereinsamung
helfen will, so soll man es auf die großen Dichter hinweisen und
soll ihm sagen, daß es die Arbeit auf sie verwenden muß, die seine
tüchtigen Vorfahren auf die Bibel verwendet haben. Sollte nicht
in dem Verdüsterten Geist eines Fabrikarbeiters ein Strahl gött-
lichen Trostes fallen, wenn er Iphigenie gefaßt hätte, sollte es nicht
eine Befreiung von seiner Not sein, wenn er Minna von Barnhelm
verstände? Er kann es, wenn man es ihm sagt, und wenn man ihn
nicht mit dem albernen Lesestoff der müßigen Glieder des ungebildeten
Mittelstandes verdummt. Paul Ernst
Lose Blätter
Aus Peter Egges Dichtungen
fSchon vor etwa zehn Iahren kam das erste Bnch Egges im Deutschen
heraus. Es machte sich im Strom der ganzen Literatur nicht recht geltend,
was man heute wohl besser versteht, da so viele skandinavische Bücher in
Deutschland bekannt geworden sind, die jenes in seiner stammhaften Eigen-
art gleichsam mit erklären und wiederum seiue besondern Feinheiten
zu würdigen erlauben. Dies Buch, es heißt „Gammelholm",* beginnt
ganz langsam, mit der Vorstellung eines Ortes von anscheinend sehr
gleichgültigen Eigenschaften; es wirkt ermüdend wie ein träge schleichender
Strom. Gerade diese Schwerbeweglichkeit der dichterischen Vorstellungs-
massen, die sich allmählich nur unter dem Antrieb der Schaffenslust uud
-not bewegen, wie sich das Meer im Winde wiegt, seltsam anzuseheu
und unendlich vielfältig, bevor der Sturm dann die Aufmerksamkeit
verengen wird und einbannen, — gerade diese Lust, das innere Schauen
einmal in aller Breite mit jenen zahlloseu kleinen Alltagzügen, Stim-
mungen und Erinnerungen vor dem Leser auszubreiten, haben wir
nun oft bei den Skandinaven gefunden. Sie trinken sich gern so recht
satt am ruhenden Weltbild, und sie verwenden diese Fähigkeit künstlerisch
oft, um Stimmung zu machen, um Milieu zu geben, um Ruhepunkte
zwischen den Hochspannungen der Erzählung zu besetzen. Erinnert man sich
des Bildes der winterlichen Kleinstadt aus „Ragni", das im Björnsonheft
des Kunstwarts abgedruckt war? Oder des Eingangs von Per Hallströms
„Frühling"? Oder an Iacobsens „Frau Fönß"? Nicht zu redeu von
Selma Lagerlöf, die nahezu etwas Ausschweifendes nach dieser Richtung
betätigt. Äberschaut man vergleichend ein wenig die gleichzeitige deutsche
Dichtung — deren Bücher einander allerdings noch weniger ähnlich
sehen, als die immerhin genügend verschiedenartigen nordischen — so
vermißt man dieses Element fast völlig. Ia, es geht manchmal auch
bei uns langsam. Aber nicht aus Fülle der Gesichte, sondern aus Um-
* Verlag Albert Langen, München; die übrigen Werke Egges, aus
denen die folgenden Proben entnommen sind, erschienen alle deutsch im
Verlag Haupt und Hammon, Leipzig.
s- Augustheft Vst 133