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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,4.1911

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Heft 20 (2. Juliheft 1911)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9019#0146
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Entscheidungen des Amtes, das den
Stolz und die vorbildliche Eigenart
des Buchdruckgewerbes bildet, sind
endgültig, sakrosankt. Werden sie
nicht eingehalten, so ist Treu und
Glanben dahin, die großartige und
mühsame Kontraktarbeit des Larif-
vertrages entwertet. Scherl, von der
Mehrzahl sogar seiner Arbeiter
moralisch gehalten und unterstützt,
ging zu Ullstein und Mosse, um
dort seinen Lokalanzeiger gedruckt zu
bekommen. Aber eine Anzahl von
deren Angestellten erklären sich mit
den Scherlschen Streikern solida--

risch, infolgedessen erschienen „Tag",
„Tageblatt" und andre Blätter ver--
kürzt und dünn. Das „Lageblatt"
erklärt sofort: von der Unannehm-
lichkeit abgesehen, welch politisches
Anglück! Seit Iahr und Tag kämp-
fen wir um Einführung der Tarif-
verträge in allen Gewerben von
Reichs wegen. KLmpfen und be-
rufen uns zwar erstens auf Huma-
nität, Vernunft, Logik und Billig-
keit, zweitens aber auf das Muster
und die Musterwirkung des Buch-
druckertarifs. Der ist nun bloßge-
stellt. Paßt auf, die Gegner wer-
den das ausnutzen, schlimmer als
der Sach- wird der ideale Schaden
sein. Diese Voraussage traf zu:

Gegnerische Zeitungen griffen trium-
phierend den Vorgang auf und
nutzten ihn nach jeder Richtung
eifrig unter allen Gesichtpunkten
aus. Eine ging so weit, dem Sinne
nach, bei den unteren Volksschich-
ten allgemein den Sinn für Lreu
und Glauben in Frage zu stellen,
obwohl die meisten der Scherlschen
Arbeiter ihren Kollegen unrecht ge-
geben hatten.

Dies ist Politik. Wer vom öffent-
lichen Leben etwas weiß, kennt der-
gleichen. Solches Verfahren ist so
ungefähr allgemein akkreditiert. Die

einen wußten voraus, daß aus die-
sem Rummel geeigneter Sand her-
auswehen würde und die andern
streuten ihn freudig dem Volk in
die Augen. Die Pshchologie ist
nicht so allgemein akkreditiert wie
obiges Verfahren. Aber so viel
Kenntnis der menschlichen Seele,
menschlicher Schwäche, und so viel
Wissen um die Vielspältigkeit
menschlicher Verhältnisse haben doch
wohl noch eine Reihe Gebildeter,
daß sie sich sagen: wohl, hier ward
Disziplin gebrochen, unter besond-
ren, annoch nicht völlig bekann-
ten Umständen (denn die Verteidi-
gung der Brecher ist noch nicht
öffentlich bekannt), was beweist das?


Kunstwart XXIV, 20
 
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