Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,4.1911

DOI Heft:
Heft 20 (2. Juliheft 1911)
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9019#0151
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
nachstehn würden. Auch seien die
technischen Schwierigkeiten, die der
Refornr entgegenstünden, recht ge-
ring, da ja vielfach (an 80 Ghnrna-
sien in Preußen) bereits im engli-
schen Ersatzunterricht für Unterter-
tia bis Antersekunda Ansätze vor-
handen seien, die nur fortgeführt
werden nrüßten, um die neue Schul-
form zu ergeben. Erst mit ihrer
Verwirklichung, mit der Möglich-
keit, an allen Ghmnasien in den
oberen Klassen statt des Griechischen
das Englische zu wählen, wird die
Neform von (900, die in Halbheiten
stcckengeblieben ist, tatsächlich prak-
tisch durchgeführt.

Die rein praktischen und die all-
gemein geistigen Bildungsbedürf-
nisse unsrer Zeit verlangen in der
Tat eine freiere Gestaltung des bis-
her so starren ghmnasialen Systems.
Soll das humanistische Gymnasium
nicht eine völlig hohle Form wer-
den, die nur noch durch Berechti-
gungen von außen her gestützt wird,
so muß es reichere und mannigfal-
tigere Bildungsmöglichkeiten gewäh-
ren. Und es genügt keineswegs,
wenn, wie die Organe von Philo-
logenvereinigungen vorschlagen, der
äußere Verwaltungsapparat verein-
facht und verbessert wird: man muß
sich auf den ursprünglichen Geist
des ghmnasialen Lehrbetriebs selbst
klarer besinnen und nach neuen
Formen seines Ausdrucks suchen.
Die geistige Zucht, das Wertvollste,
was das Ghmnasium zu bieten hatte
(und noch hat), soll so übermittelt
und geübt werden, daß sie sich im
Leben, dem neuen in vielem so
formlosen Zeitgehalt gegenüber zu
erprobenvermag. Dies war dieGe-
sinnung, aus der einst das Ghmna-
sium als Bildungsanstalt für die
amtlich und beruflich Führenden er-
standen ist und aus der es seine beste
Wirksamkeit empfangen hat: mit
Hilfe strenger und klarer geistiger

Formen, die oft nur scheinbar, je-
denfalls nur zum Teil der Vergan-
genheit entnommen waren, wollte
man die Fähigkeit gewinnen und
schaffen, fefte Formen nicht nur des
Denkens, auch des sittlichen Wol-
lens und einheitlichen Empfindens
gegenüber einer chaotischen Gegen-
wart zu bewahren. Die Reforma-
tionszeit hat die humanistische
Schule geboren, das Ende des acht-
zehnten und der Anfang des neun-
zehnten Iahrhunderts sie am leben-
digsten genutzt und durchgebildet.
Soll sie ihren Aufgaben im
Deutschland des zwanzigsten Iahr-
hunderts gewachsen sein, so ist es
die höchste Zeit, daß Brücken von
ihr zu Leben und Gegenwart ge-
schlagen werden. Man halte sich
nicht an die ganz äußeren For-
men des Humanistischen, sondern
an die ursprüngliche und innere Ge-
sinnung, die sein Wesen aus-
macht. M.

So richtig das ist, was unser
Herr Mitarbeiter sagt, wir möchten
doch davor warnen, das Griechische
leichten Herzens über Bord zu
werfen, wozu die neue Änderuug
viele Eltern und Schüler leicht
führen könnte. Wem das Griechische
Leben geworden, dcm bedeutet es
eine Mitgift von so unschätzbarem,
weil so besonderem Werte, daß sich
die Kenntnis keiner anderen
Sprache damit vergleichen läßt. Das
weiß aber der Iunge sicher und
sein Vater sehr wahrscheinlicher-
weise noch nicht, wenn es zu wäh-
len gilt. Freilich: wann gelingt es
der Schule, selbst den Abiturienten
dahin zn bringen, daß er im Grie-
chischen statt einer Ansammlung
überflüssigsten aber schwerstcn
Kenntnisballastes den herrlich at-
menden Organismus fühlt? Den
einem Gymnasiasten zumGefährten
zu geben und das Englische — das
wäre ein Ideal. Freilich eins, das

I 2. Iuliheft (9(( (2(
 
Annotationen