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Kunstwart und Kulturwart — 26,1.1912

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1912)
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Landsberg, J. F.: Der weibliche Richter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9024#0036

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Männern und Frauen, die Tauglichsten herauszusuchen. In diesem Falle
ist „gerecht", was zweckmäßig ist.

Anders liegt die Frage für die Frau selbst. Dafür ein Bild, eine
Erinnerung!

Eine alte zerbröckelnde Stadtmauer am Rhein, sonnenscheinübergossen;
in allen Spalten und auf dem zerzackten Saume der Mauer blüht und
duftet der sonst nur wohlgepflegt in Gärten gedeihende Goldlack, weithin
leuchtend, wie weiter oben auf den Höhen des tzunsrücks gleichzeitig die
goldene Flut des Ginsters. Auf der Mauer sitzen zwei spielende Kinder.
Mit ihrer Puppe kost das Mädchen, während der Knabe mit feinem
Mekkanobaukaften seltsame Brücken und Hebekrane erbaut. Eingefügt
in die Natur, ohne Künstelei dem Worte der Natur folgend, sind sie ein
Bild der verschiedenen Veranlagung von Mann und Weib. Darum kann
doch aus dem Knaben ein „Kindervater" werden, der statt seiner „aus-.
häusigen" Gattin den Kleinen das Fläschchen reicht, und aus dem Mäd--
chen eine Brückenbauingenieurin, die ihre Tage auf dem Konstruktions-
bureau zeichnend verbringt. Es würde nicht Sache des Staates sein,
diese Entwicklung der beiden Kinder zu verhüten. Aber jedes dieser
Kinder wird als „Schmied seines Glückes" gut daran tun, sich nicht durch
eine solche Entwicklung an den Felsen des Amheils zu schmieden. Denn
zum äußeren Beruf gehört der innere. Wer diesen inneren Beruf nicht
hat, der ist ein gefesselter Sklave der Arbeit. Das ist es, weshalb ich
den Frauen als Frauen von der Wahl des Richtertums als Berus abrate.
Ich bin nicht so unbescheiden, zu behaupten, daß, ich „die Frau" kenne
und deshalb allen Frauen zugleich sagen dürfte: „Ihr könnet das
nicht! Die Fähigkeit geht jeder von Euch ab!" Die Frauen aber,
welche ich kenne, und das sind zum Teil ganz ungewöhnlich befähigte
Frauen, die ihren Weg entschlossen selbst gemacht haben, diese Frauen
könnten die Berufsarbeit eines Richters nicht leisten, ohne an ihr vor-
zeitig zugrunde zu gehen. Es ist nicht etwa die Arteilskraft, nicht etwa
die Intelligenz, was ihnen fehlt. Es ist etwas, das aus dem Körperlichen
stammt und daher durch bloße Willenskraft nicht überwunden werden
kann. Es ist überhaupt streng genommen kein Fehlen, viel eher ein
Zuviel. Ein Zuviel vielleicht an sehr Achtungswertem, an Neigung zu
werktätiger Hilfe! Ein Zuviel vielleicht an innerer Ergriffenheit von
dem Stoffe, der zu behandeln ist! Ein Zuviel vielleicht an nie selbst-
zufriedener Gewissensüberprüfung! „Aus welchen inneren Beweggründen
— sind sie rein? — habe ich mich für die Sache des A gegen P ent-
schieden? O weh, darin war dies oder jenes »subjektive« Moment! Wie
kann ich es wieder gutmachen?" Diese Frauen — es sind die besten,
die ich kenne —, Wandlerinnen großer, neugesuchter Wege, Herrinnen im
Kreise des gewonnenen Berufes, starke, kerngesnnde, freidenkende Frauen,
erkennen ihre natürliche Veranlagung, und lehnen deshalb mit einer
Schärfe, die ich bei Männern nicht fand, den Richterberuf für sich und
„die Frau überhaupt" ab. Auch das Schöffenamt wollen sie nicht.
Meines Erachtens geht diese Ablehnung zu weit. Denn mir ist es völlig
zweifellos, daß als Schössen beim Iugendgericht Frauen nicht nur
geeignet, sondern sogar vorzugsweise geeignet sind. Ebenso, daß eine
Berufung zu diesem Amte den Frauen gesundheitlich nicht schaden würde.
Denn das Schöffenamt ist eben kein „Veruf". Iederzeit kann, auch wenn

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