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Kunstwart und Kulturwart — 26,1.1912

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1912)
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Avenarius, Ferdinand: Zu den Lehrer-Maßregelungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.9024#0129

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aber der Sffentlichkeit gegenüber, aber gerade die Sffentlichkeit
hat das größte Interesse daran, vor allenr die Fachmänner zu hören, und
diese haben die Pflicht, sie aufzuklären. Vom Materiellen dieser
Sachen will ich jedoch heut gar nicht sprechen, sondern von einer
Erscheinung, auf die ihr Wie deutet. Man behandelt Väter von soundso
viel Kindern und behandelt Männer, denen der Staat selbst als be--
rufsmäßigen Erziehern die Kinder anvertraut, so, als wenn man sie
ihrerseits noch zu erziehen hätte, als wenn der schöne Name „Besserungs-
verfahren" nicht auf Zu bessernde Verhältnisse deutete, sondern auf zu
bessernde Lehrer. Wie erstaunlich das eigentlich ist, versteht der Deutsche
selten, er müßte denn von entsprechenden Verfahren in andern Ländern
gleich hoher Kultur Bescheid wissen. Aber auch davon will ich heute
nicht reden. Sondern von dem allgemeinen Geist, der an tausend Stellen
heute noch die Lehrer überhaupt als subaltern empfindet.

Daß der „Schulmeister", sogar wenn er an Gymnasien doziert, vor
allem aber, daß der Volksschullehrer unter den Deutschen der besten
Stände noch heutigestages nicht als ganz voll empfunden wird, hat
ja, wie alles, Ursachen. Ls mag richtig sein, daß vielen Lehrern ebenso
wie Pastoren noch eine bescheidene Herkunft oder auch Einwirkungen
ihres Berufes an der Art ihres Auftretens in der Gesellschaft anzu-
merken sind. Ls ist sicher auch wahr, daß bei manchen Lehrern Zeichen
der Halbbildung aufsallen. Was aber die bescheidene Herkunft belangt,
so verdient das Heraufarbeiten aus den Kreisen der Ärmeren doch wohl
nur Respekt, und was die Berufsmerkmale betrifft, so ist es doch wohl
recht äußerlich, daraus einen Vorwurf zu machen, daß einmal einer zu
Erwachsenen ein wenig wie zu Schülern spricht. Bei jedem „schmeckt"
einmal dies oder das nach dem Beruf, aber entweder ist der Beruf als
solcher respektiert (was läßt man Künstlern oder Professoren „durch-
gehn"!) oder der Reichtum läßt „drüberwegsehn". Lehrer sind selten
reich, aber das Mildersein, weil einer reich ist, erkennen wir doch über-
haupt als Pöbelgesinnung an. Amd daß der Beruf der Lehrer als solcher
nicht viel „gilt", liegt gleichsalls an der Gedankenlosigkeit der andern,
nicht an den Lehrern selbst. Wer Wichtiges und Amwich-
tiges auseinanderhalten kann, der muß erkennen: daß in keinem
Stande mehr ehrlicher Idealismus am Werke ist, als bei der deut-
schen Lehrerschaft. Starke Kulturgedanken werden von Angehörigen
ihrer Kreise in weitem Amfange nicht nur aufgenommen, sondern auch
nach aller individuellen Krast bearbeitet und vielfach nicht nur ohne
jeden Lohn, nicht nur ohne Aussicht auf Dank, sondern sogar gegen die
eigenen Interessen, weil gegen den Widerstand ihrer Vorgesetzten. Ietzt
in Sachsen stehen die Lehrer ja auch wieder im Kampf sür eine Ver--
innerlichung des Religionsunterrichts und eine nicht dem Wort, son-
dern dem Wesen nach nationale Schulbildung und Iugendpflege.

Der Respekt vor der Gesamtarbeit der Lehrer kann gewiß nicht jedem
Einzelnen zugute kommen, aber Achtung kann sür den denkenden
Menschen ja überhaupt niemals ein Stand als solcher geben, auch
der gesellschaftlich höchste, auch der „Stand" der Monarchen nicht, denn
an, biblisch gesprochen, „räudigen Schasen" hat es ja auch ihm nie ge°
fehlt. Was bei den Lehrer-Maßregelungen zu bedauern, ist: daß sie
unter den Lehrern diejenigen am leichtesten treffen, die Kulturarbeit

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