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Kunstwart und Kulturwart — 26,1.1912

DOI Heft:
Heft 3 (1. Novemberheft 1912)
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Rath, Willy: Intendantendämmerung?
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https://doi.org/10.11588/diglit.9024#0213

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ein wirklicher Dramaturg aber gar nicht oder höchstens als An-
fänger für ein Weilchen mit der üblichen, gänzlich unfelbftändigen und
elend honorierten Stellung eines fogenannten Dramaturgen zufrie-
den fein wird,* fo wird der künstlerifche Leiter aus dem Mimenstand
höchstens ausnahmsweise die erforderliche Lrgänzung finden. Selbst-
verständlich wird ein folcher Oberleiter feinerseits auch durchaus nicht auf
solche Lrgänzung versessen sein. Er wird sich nur drein fügen, wenn
der Hof, die Stadt oder wer sonst Besitzer des Theaters ist, es schlech-
terdings nicht anders tut. Ilnter folcher Voraussetzung aber ist ein
friedlich-freudiges Zusammenarbeiten nicht leicht zu erwarten; denn
der Spielplan bestimmt den Charakter des Theater-Organismus. Hier-
aus folgt, daß der künstlerische Leiter in der Regel lieber aus der lite-
rarischen Welt bezogen werden follte.

Gewiß ist Vorsicht dabei sehr nötig, weil bei den Literaten die Zahl
der tatsächlich Theatersinnigen und organisatorisch Begabten ganz be-
deutend kleiner ist als die Zahl der Theaterwütigen und Direktion-
lustigen. Auch die bühnenblütigsten Schriftsteller sind nur selten zum
Regieführen berufen. Aber hier ift leichter ergänzen. Tüchtige Re-
gisseure, routinierte szenische Drillmeifter sind keine Seltenheit. Wenn
man die Direktoren der Stadttheater und provinzlichen Privatbühnen
ins Auge faßt, so wird man finden, daß fie im Durchschnitt — falls fie
nicht geborene kaufmännifche Leiter sind — als „Verbrauchsregisseure"
befser am Platz wären. Ausnahmen werden bereitwilligst zugegeben.
Im ganzen aber wäre es sicherlich von entscheidendem Vorteil für
das deutsche Bühnenwefen, wenn es mehr „lateinifche" Bühnenleiter
Hätte, die für einen künftlerisch an- und selbständigen Spielplan forg-
ten und bei den Proben die ehrliche Handwerksleistung der Re-
gisseure aus dem Schauspielerstand psychologisch-poetisch vertiesten
und verfeinerten.

Mit der allgemeinen Einführung folcher Intendanten hat es noch
gute Wege. Wer wüßte das nicht! Aber in einer Zeit, da man Hun-
derte Menschenleben und Millionen Reichsmark daransetzt, die Luft
wegbar und militärtauglich zu machen, in folcher Zeit gibt es ja wohl
keine Furcht mehr, daß Forderungen, die am Boden der Wirklichkeit
bleiben, utopisch unerfüllbar sein könnten. Die rückständige Gesinnung
vieler Stadtverwaltungen, die ein Stadttheater haben und nichts dafür
aufwenden oder gar daran profitieren wollen, diese schäbige, muffige,
kleinliche, ja mittelbar in gewisser Hinsicht unsittliche Gesinnung kann
in unsrer „Kulturblütezeit" unmöglich noch lange fortdauern.

Der alte üble Brauch ift schon hie und da durchbrochen. Fast jedes
Iahr entschließt sich eine Stadt mehr, ihre Bühne nicht mehr einem
PLchter zu überantworten, sondern einen künstlerischen „Direktor"
anzustellen und das Geschäftliche in die Verwaltunggeschäfte der Stadt
einzubeziehen. Aber es muß noch viel, viel schneller gehen! Der Staat,
die Bühnenkünftler-Organisationen und die Presse könnten es mit
vereinten Kräften in wenigen Iahren fo weit bringen, daß eine Stadt
sich fchämen müßte, wenn sie sich noch keinen „Intendanten" ange-
fchafft hat._ _

* Wirkliche Dramaturgen sind wohl gegenwärtig bloß an vier, fnnf
Bühnen (fast nur an Hofbühnen) tätig und denkbar.

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