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Kunstwart und Kulturwart — 26,1.1912

DOI Heft:
Heft 3 (1. Novemberheft 1912)
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Schumann, Wolfgang: Franz Nabl: ein neuer österreichischer Dichter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9024#0215

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Tagen gewiesen wurde, so daß nicht recht ersichtlich war, ob Nabl
diesen wunderlichen Herrn Iäckel noch durchweg ernst nahm oder nicht.
Im vorigen Iahr taten dann die Novellen des Bandes „Narrentanz"
kund, wieviel weiter als nur bis znm Horizont Hans Iäckels der Blick
Nabls reichte. Mit weitaus sichrerer Ruhe sind sie erzählt. Was sie
enthalten sollen, ist alles bis in den kleinsten Zug fein und genau her-
ausgearbeitet. Man merkt die Absicht eines Künstlers, einmal jede
äußere Rücksicht auf den Leser zu lassen und nur sein inneres Gesicht
ganz auszuführen. Diese Absichtlichkeit müßte verstimmen, wenn die
Lrlebnisse des Autors alltäglich oder aufgebauscht wären. Aber Nabl
hat in manchem völlig Eignes zu geben. Vor allem sieht er seltsame,
irgendwie aus der Normalbahn herausgedrängte Leute, deren echtes,
rechtes Menschenwesen sich nun abseit der breiten Straße Lust schafft,
mit einer ganz ungewöhnlichen Klarheit des Herzens und des Geistes.
Man hat noch nicht das Gefühl, hinter all seinen Bildern stehe ein
unbedingter Zwang, so und nicht anders zu sehen, aber er hat doch
die Gabe, seine Gestaltung wie aus eigner Kraft wachsen lassen zu
können. Das war in höchster Steigerung K. F. Meyers Poetengabe,
dessen Geist gewaltige Naturen und Heroen aufnahm und sie in sich
werden ließ zu vollkbmmener Amabänderlichkeit des Wesens. Nabl greift
nicht in die Geschichte und die Geschicke der Welt. Es ist allein dies
oder jenes Stück vom wunderlichen Heute und Gestern, das er aus-
schneidet aus dem Lebenszusammenhang und vor sich hinstellt. Aber
er packt Stellen des Menschengelriebes, wo tiefe, innerliche Quellen
rauschen — und diese Quellen läßt er hören. Mächtige Gefühle stürzen
hervor, gepreßte Triebleidenschaft entläd sich in grotesker „Komödie"
Mitleid und Wehmut hervorrufend, — die wahnsinnige Gier eines
Büchernarren verzerrt dessen Wesen zu verbrecherischer Aktivität, —
eine harte Selbstgerechtigkeit zerstört sich ihr eignes Glück, — eine lang-
sam tiefinnerlich gereifte, leuchtende Menschenliebe feiert für sich und
Hunderte ein Fest; dieses „Weihnachten des Dominik Brackel", der für
ein ganzes Dorf einkauft und aufbaut in eigens errichteter Halle und
dann im Lichterglanz schenkt an Hunderte, selig umhergeht, Liederklang
und Dankworte um sich, ein Mal ganz froh, beglückt nnd beglückend —
dies alles ist mit liebenswürdiger Behutsamkeit aus wirklichen Tiefen
der Sehnsucht gehoben und froh gestaltet zu einem Eindruck, welcher
haftet und hallt. „Narrentanz" heißt das Buch, das diese wachen Träume
von einsamen Menschen enthält; darin liegt eine Art falscher Ironie.
Denn mindestens einige von diesen Narren tragen das Mal, das künst-
lerischer Ernst seinen Gestalten aufprägt, und für diesen Ernst stimmt
das Wort Narrentanz nicht; Nabl wagt es, wie jüngere Künstler so
oft, noch nicht, auch nach außen hin die volle, klare Verantwortung für
sein Werk, vor allem für sein heißes Gefühl auf sich zu nehmen. Es
ist, als ob ein verlegenes Lächeln des Erzählers hie und da sagen wollte:
ganz so schlimm ist es übrigens nicht mit diesen Erlebnissen; und unter
dem Lächeln brandet doch lodernde Glut hervor. Dies Lächeln ist übri-
gens eine Eigenheit so mancher Wiener Autoren, an der sie im Innersten
krank geworden sind. Nabl, dessen Scharfblick für das Allzumenschliche
es mit den feinsten Wienern ausnehmen kann — nnd ich erkenne, wie
die Leser des Kunstwarts wissen, an diesen viel wirkliche Feinheit — ,

s. Novemberheft W2 G9
 
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