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Kunstwart und Kulturwart — 26,1.1912

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Heft 4 (2. Novemberheft)
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Avenarius, Ferdinand: Echtheit: auch etwas zu Gerhart Hauptmanns Geburtstag
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https://doi.org/10.11588/diglit.9024#0292

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jemand nicht sich geben, sondern dich gewinnen wollte. Daß
es ihm nicht auf die Wahrheit der Sache, sondern auf ihre Wirkung
ankam. Dann ist der Glaube weg, das Vertrauen, das sich hingab —
du achtest daraus: kommt mehr dergleichen? Du argwöhnst nun
überall statt inneren Zwanges der Mitteilung Mache um Beifall.
Mit einem Wort: die hemmende Gegensuggestion ist da, denn dazu
ist sich ja jeder Reife zu gut, daß man mit seinen besten Gefühlen
spiele.

Wir feiern an dieser Stelle fünfzigste Geburtstage sonst nicht, wenn
wir heut Gerhart Hauptmanns gedenken, hat das einen kunstpoliti-
schen Grund. Wir möchten die Leser, denen Kunst ein Lrleben und
dadurch ein Bereichern, Starken, Wachsenmachen ist — wir möchten
sie bitten, auf die Echtheit, auf die Lebenswerte bei Gerhart
Hauptmann besonders zu achten, wenn sie ihn nnd andere dergleichen.
Flüchtigkeiten, Nachlässigkeiten, selbst Ungeschicklichkeiten finden fich
auch bei ihm, von den oft besprochenen Beengungen und Schwächen
seiner Dichterpersönlichkeit ganz abzusehn. Aber in keinem einzigen
seiner Werke werden wir auch nnr an der nebensächlichsten Stelle
jenes Un'echte finden, das Surrogat, das Blenderifche, welches bei,
ach wie vielen andern, wieviel Geseierten zum Zeugnisse dessen vor
uns spielt: hier ringt kein In-sich-Erfahren nach Gestalt, sondern
hier macht uns einer was vor. Hauptmann i st, was der nicht ist,
der das Wort in Schwang brachte, ein „Schaffender", und was
neben ihm auf der Bühne der Gegenwart höchstens noch zwei, drei
andere in bescheidenerem Maße sind. Manchmal reicht seine Kraft
nicht aus, das Gefühlte zu bannen, wie in „Pippa", auch dann aber
wird es nie ein verlornes Bemühen fein, sich immer wieder darein zu
vertiefen, denn was man schöpfe, und sei's nur ein Becher voll, wird
„Wasser des Lebens" sein. Es gibt kein einziges Hauptmannsches
Werk, dessen Boden es nicht durchrieselte.

So besteht ein wesenhafter Unterschied zwischen tzauptmann
hier und dort den Sudermann, Hardt, Fulda und allen ihrer Ver-
wandtschaft. Was keine Kritik vermag, das tut ohne alles Ausheben
die Zeit: die Macher altern, die Schöpfer bleiben jung. Die Macher ver-
treiben dem, der die Mache nicht gleich herausfühlt, unterhaltsam die
Stunden, wie uns damals die altdeutschen Stuben mit dem Vormachen
alten Deutschtums vergnügten. Aber vom Vorgemachten behält man
nichts zum Aufheben, nur vom Gegebenen, und nnr das gegebene
Leben wächft beim Beschenkten weiter. Dort kam die Lrmüdung,
und andre Moden kamen, Rokoko, Lmpire, Iugendstil, Biedermeier.
Daneben aber ging das Erleben der Dinge, das Sich-Auseinandersetzen
mit den Fragen, das Durchdringen, das Gestalten, das denen, die
dabei waren, statt Maskeradenräumen schließlich Heimstätten schuf.
Dort der Wechsel im Außerlichen, hier die Entwicklung im Innern.
Das Wachfen nur hier. Das Wachsen auch in der reinen Kunst
nur bei ihnen, die wie Hauptmann gestalten, indem sie aus dem
Erleben um und in sich mit feinstem Wurzelfaserwerk durch den starken
Stamm hinaufsaugen, was Blatt zum Atmen, Blüte zum Weiter-
zeugen, Frncht zum Bewahren des Lebenskernes über den einzelnen
hinaus werden kann. A

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