Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 26,1.1912

DOI Heft:
Heft 4 (2. Novemberheft)
DOI Artikel:
Schmidt, Leopold: Ariadne auf Naxos
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9024#0301

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
soll bei dem Gastmahl gespielt werden, das Iourdain der von ihm an-
gebeteten Marquise Dorimene gibt, und eine lustige Farce „Die ungetreue
Zerbinetta und ihre vier Liebhaber" soll ihr folgen. Da erteilt Iourdain
in einer Parvenülaune den Befehl, daß beide Stücke zu gleicher Zeit
gespielt werden, und den Busfonisten bleibt nichts übrig, als in das ernste
Drama hinein zu improvisieren. Die originelle Verquickung heiterer
und tragischer Momente, in der die Gegensätze der Ariadne und der Zerbi-
netta als zweier menschlicher Lhpen (die Frau, die vergessen kann, und
die Frau, die nur im Lode Erlösung von Liebeskummer findet) aufs schärfste
beleuchtet werden, kann man als neues künstlerisches Problem gelten lassen
und die geistreiche Art bewundern, in der Dichter und Komponist es
gelöst haben. Die Anlage des ganzen Werkes jedoch, die Ausdehnung,
die das Lustspiel auf Kosten des musikalischen Leiles nimmt, der Lrnst
und die Schwere der Musik, die in ihrer überragenden Bedeutung auf
den leichten Stil der Umgebung drückte, haben sich in ihrer Vereinigung
bei der Aufführung nicht als glücklich erwiesen. Da aber die Musik der
eigentlich wertvolle Bestandteil ist, erwächst den Bühnenleitern nunmehr
die Ausgabe, sie durch Kürzungen des Dialogs und geschickte Inszenierung
zur rechten Geltung zu bringen nnd so die wirklich herrliche Partitur
vor ungünstigen Schicksalen zu bewahren.

Richard Strauß hat zum „Bürger als Edelmann" eine graziöse, un-
gemein fein gearbeitete Lustspielmusik verfaßt. Gleich die Ouvertüre mit
ihrer Anlehnung an den Kammerstil des (7. Iahrhunderts ist ein kleines
Kabinettstück. Die Lieder und Tänze, die Szenen des Fechtmeisters und
der Schneider sind charakteristisch und dabei leicht und gefällig gehalten,
und in der Dinerszene waltet mit allerhand Anspielungen ein über-
mütiger Humor. Mit dem Beginn der Oper erhebt sich dann die Musik
zu ganz anderer Bedeutung. Die lyrischen Monologe der Ariadne, die
Lerzette der Najade, Dryade und Echos, die gegenüber dem leidenden Men--
schenherzen die fühllose Natur repräsentieren, die Quintette der Zerbinetta
und ihrer Liebhaber, die mit musikalischem Witz den Ton der colnlneäia
äell'arts anschlagen, und nicht zuletzt das in mächtiger Steigerung auf-
gebaute große Schlußduett zwischen Ariadne und Bacchus mit seiner tiefen
Symbolik — das alles ist so meisterhaft gemacht und so glücklich inspi-
riert, daß man es schlechthin das Schönste nennen darf, was seit Wagner
für die Bühne geschrieben worden. Die Erfindung quillt dem Komponisten
reicher denn je, und wir sehen ihn in der Vollkraft seines Schaffens
wieder zum melodischen Ausdruck zurückkehren. Zugleich führt er in
der „Ariadne" eine völlig neue Art der Orchesterbehandlung ein. Die
ins Ungeheuerliche gesteigerten Massenwirkungen sind aufgegeben. Außerste
Durchsichtigkeit und Feinheit sind an ihre Stelle getreten. Iedes Instru-
ment ((6 Streicher, je 2 Bläser, nur eine Trompete und eine Posaune (!),
Eelesta, Harfen und Schlagzeug) ist, wie in der Kammermusik, solistisch
verwendet; die Füllung übernehmen (abwechselnd und zusammen) Klavier
und Harmonium, die so dem Opernorchester, vielleicht für immer, ange-
gliedert sind. Was Strauß mit diesen 26 Musikern an Fülle und
Wohlklang, an Farbenwirkung und Steigerung erreicht, spottet jeder
Beschreibung und bedeutet einen Gipfelpunkt genialer technischer Meister-
schaft. Kurz, nichts möchte man sich in dieser Partitur anders wünschen,
es sei denn die Koloraturarie der Zerbinetta, die mit ihren nicht immer

2. Novemberheft (9(2 2H(
 
Annotationen