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Kunstwart und Kulturwart — 26,1.1912

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Heft 4 (2. Novemberheft)
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Avenarius, Ferdinand: Was geschieht nach dem Prozeß Knittel?
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https://doi.org/10.11588/diglit.9024#0305

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zugestalten und damit eiue geheime Strafjustiz zu schaffen, die ins-
besondere den politisch mißliebigen Staatsbnrger empfindlich treffen kann.

Die öfsentliche Gerichtsverhandlung des Falles Knittel hat nicht nur
gezeigt, daß eine Anzahl der vernommenen Offiziere unerfreuliche Lharak-
tereigenschaften aufwiesen, sondern insbesondere auch, daß die Einrichtungen
des militärischen Verfahrens von dienstlichen Verfügungen angefangen
bis zu ehrengerichtlichen Verhandlungen geeignet erscheinen, diese Charak-
tereigenschaften zur Betätigung zu bringen. Hier findet sich, so scheint
es, Raum zur Gesinnungsriecherei, zum Denunziantentum, zur Vergewal-
tigung Untergebener und das alles „zur Wahrung der Offiziersehre",
der „Kameradschaftlichkeit" nnd vor allem des „Patriotismus". Mag diese
Zatsache den einzelnen in etwas entschuldigen, so belastet sie um so schwerer
ein Shstem, welches dieses Lreiben unterstützt.

Der Fall Knittel zeigt deutlich, wie wenige Bürgschaften dafür be-
stehen, daß die bei Offizieren und Kriegervereinen ausgeübte politische
Zensur nur den Forderungen der Billigkeit entspricht. Was soll man dazu
sagen, daß einem Offizier die regelmäßige Abhaltung der Kontrollversamm-
lungen und ein entscheidender Einfluß auf das Schicksal von Reserve-
offizieren anvertraut wird, der gerichtsmäßig als „bösartiger Geistes-
schwacher" bezeichnet wird? Es ist gewiß traurig, wenn ein Ofsizier
im Dienst durch eine Verletzung einen Teil seiner Geisteskräfte einbüßt,
es ist aber unverantwortlich, einen solchen Mann in die Lage zu ver-
setzen, durch übermäßig strenge Strafen und sonstige Maßnahmen die
Landwehrleute übel zu behandeln, — um, wie er selbst sagte, „Pflicht,
Zucht und Sitte" im deutschen Heer aufrechtzuerhalten, und es ist mehr
als erstaunlich, wenn man seine Meldungen ohne weitere A.ntersuchung
dienstlich verwertet. Begreiflich wird einem das Verhalten vielleicht, wenn
man bedenkt, daß der Vorsitzende eines Kriegervereins in der Anzeige
des Hauptmanns gegen den Reserveosfizier Knittel einen Beweis be-
sonderer Geistesschärfe erblickte. Aber auch eine Reihe der andern Offi-
ziere, welche nicht durch geistige Erkrankungen entschuldigt werden, haben
sich ihrer Aufgabe als Mitglieder von Ehrengerichten kaum gewachsen
gezeigt. Einem der Herren kam es, wie er selbst sagte, gar nicht in den
Sinn, daß es doch peinlich sei, in einer Angelegenheit Richter zu spielen,
in der man sachlich, wenn auch nicht juristisch Partei ist. Welche An-
korrektheiten aller Art von der schlichten Lüge bis zur ungenauen Be-
richterstattung wurden in diesem Prozesse zutage gefördert! Fast alle
Beteiligten hatten irgendwelche Dinge begangen, die besser unterblieben
wären, ohne daß man immer geradezu von Vergehen sprechen könnte.

Der Sachverhalt war bekanntlich folgender. Der Amtsrichter Knittel,
ein Anhänger des Zentrums, hatte sich bei der Landtagswahl für den
Kompromißkandidaten der Polen nnd des Zentrums entschieden, nachdem
sich der Pole schriftlich auf die Verfassung verpflichtet hatte. Dieses Vor-
gehen, sowie die Tatsache, daß er eine ohne sein Wissen auf ihn gefallene
Wahl in den katholischen Kirchenvorstand, in dem auch Polen saßen, an-
nahm, erregte in manchen Kreisen Mißstimmung. Der Amtsrichter küm-
merte sich nicht darum, insbesondere nicht um das Mißfallen des Krieger-
vereins und lebte auch fernerhin in gut kameradschaftlichem Verkehr mit
Offizieren seiner Garnison. Er kam zu Regimentsfeiern und verherr-
lichte sie durch seine Gedichte. Nach einigen Monaten übersandte der

2. Novemberheft M2 2H5
 
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